Und links zwo drei

Der Hamburger Dichter und Liedermacher Franz Josef Degenhardt ist am Sonntag 75 geworden. Seine Lieder sind Klassiker, fast jeder ist ihnen schon mal begegnet – und hat dazu eine Geschichte zu erzählen. Einige subjektive Annäherungen an einen, der seinen Überzeugungen treu geblieben ist

Vor ein paar Jahren hörte ich im Radio mal wieder„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“.Ein schöner Song samt Klasse-Text von Doktor Degenhardt,was man schnell daran erkennt, wie die Stimme schneidig knarrt.So dachte ich und summte gleich das Lied vom „Deutschen Wesen“,bis mir im Refrain aufging, das ist vom Hüsch gewesen.F. J. D. schrieb „Deutscher Sonntag“ und mittendrin da spricht er,das unvergesslich schöne Wort: „Schinkenspeckgesichter“.Ähnlich griffig „Horsti Schmadhoff“ im selb’n Buch bei rororo,Horst Janssen hat dazu gemalt, aber das nur apropos.Erinnerlich sind außerdem Mengen Schnaps und Bier und Wein,die wo er gern in Lieder goss so wie in sich selbst hinein.Anders gesagt, der Dichter gab, forcheckend emblematisch,statt Klassenkampf lieber Villon, auch das ist mir sympathisch,Doch was bloß trieb so einen Mann ins Abseits hin zur DKP,die Mitgliedschaft im Tumbenhort, die tut wirklich ziemlich weh.Es war der Linken Standardfrage: „Sage, wer hat uns verraten?“,die Antwort lautete wie stets: „die Sozialen Demokraten“.Das war und ist nicht falsch gedacht und ich ziehe meinen Hut,Bleib gesund, Väterchen Franz, Glückwunsch und mach’s gut.

MICHAEL QUASTHOFF

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Kehlkopf-OP

Einmal war der Franz Josef Degenhardt mit Kai Degenhardt in Berlin. Was man über Kai Degenhardt wissen muss, steht in Wikipedia: „Kai Degenhardt (* 1964) ist Sohn des Liedermachers Franz Josef Degenhardt.“ Und: „Seit 1987 arrangiert Kai Degenhardt die Lieder seines Vaters.“ Der gemeinsame Auftritt hatte etwas furchtbar Brutales, weil da ein mitteljunger Mann anfing, auszusehen wie sein Vater, nur hatte er schüttereres Haar und eine höhere Stirn, aber die Haltung, die Stimme, das wirkte doch sehr: am Vorbild ausgerichtet. Am großen Vorbild, und das große Vorbild saß neben ihm, mit Akustik-Gitarre, und blickte mit Wohlgefallen auf seinen Spross. Was sicher ermutigend gemeint war. Wer diese Szene gesehen hat, war jedenfalls heilfroh, nicht Sohn von Franz Josef Degenhardt zu sein: Wie könnte man diesem Herrscher und Vorbild entwachsen? Wie könnte man es überhaupt nur wollen?

Schließlich gibt es in den Balladen, eiskalt, trocken und schneidend wie ein Instrument der Hochfrequenz-Chirurgie, diese Momente der Perfektion. Wenn ein Sonntagsspaziergang, aufgeladen durch einen radikal-politisierten Blick, unbemerkt ins Surreale entgleist, von der Devotionsgeste über die Süßigkeit – „Sahneballen“ – in ein schrilles Folterszenario, das einem unschuldig-kindlichen Spiel aufs Schrecklichste ähnelt: „Kinder baumeln, ziehen Hände, / man hat ihnen bunte, fremde / Fliegen – Beine ausgefetzt – / sorgsam an den Hals gesetzt, / daß sie die Kinder beißen solln,/ wenn sie zum Bahndamm fliehen wolln“. Das, natürlich, gebrummt im Brassens-Parlando, höchst beiläufig, damit das Entsetzen erst aufkommt, wenn im Grunde alles vorbei ist. Autsch, das tat ja weh. Das ging ja durch die Kehle.

Nein, über das Perfekte kommt man nicht hinweg, da stellt sich die Frage der Aktualität nicht: Der Stand der Dinge 1970 + x bleibt da einfach gegenwärtig. Das verbietet eine Nachfolge, und von daher vernimmt man mit Erleichterung für dessen Seelenheil, dass sich Sohn Kai mittlerweile „musikalisch, melodiös und textlich“, so das Worldwideweb-Orakel, von seinem Vater „emanzipiert“ habe.

BENNO SCHIRRMEISTER

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Junge mit dem Vogelnest

Ich ging noch zur Grundschule, als die Dinge begannen, kompliziert zu werden. Franz-Josef, so viel wusste ich, hießen die Bösen. Aber dann zog ich diese Schallplatte zwischen den Madrigalen heraus, die ein Franz-Josef Degenhardt gemacht hatte. Da sie im Regal meiner Eltern stand, musste er zu den Guten gehören. Und beim Hören schien sich das mir zu bestätigen. Nur: Wie meinte er das, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“? Meinte er solche wie meinen Kumpel Hans-Jürgen, der an der Rückseite unseres kleinbürgerlichen Stadtteils wohnte, in einem für meine Begriffe halb verfallenen Haus? Und der meist ungewaschen stank und ein Vogelnest auf dem Kopf hatte?

Ich spürte, dass meine Eltern diesen Umgang auf diskrete Weise missbilligten, was ihm zusätzlichen Reiz verlieh. Ob dieser Franz-Josef nur das aussprach, was meine Eltern nicht zu sagen wagten? Als ich anfing, das Lied zu verstehen, hatte ich Hans-Jürgen längst aus den Augen verloren. JAN KAHLCKE

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Am Lagerfeuer

Eigentlich sind wir zu jung. Und eigentlich war es nur ein Versehen, damals. Als wir auf Klassenfahrt am Lagerfeuer saßen. Nächtens Joan-Baez- und Bob-Dylan-Lieder klampften. Und nur ganz gelegentlich, wenn das Liederbuch – das mit dem roten Ballon auf dem Cover – zufällig auf den entsprechenden Seiten aufging: Dann, ja dann haben wir auch mal einen Degenhardt gesungen. Was? Na, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ natürlich. Das mit den unberechenbaren Harmoniewechseln und den unbequemen Barré-Griffen. Dessen Text man so schwer auswendig lernen konnte. Und dessen Komponist uns irgendwie fremd war. Nie von gehört. Ober- und Unterstadt kannten wir auch nicht. War da viel zu klein für, unser Kaff. Und, nu ja, so richtig reich geworden sind wir dann nicht. Auch nicht aus Rache oder so. PETRA SCHELLEN

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Wieimmerwessi

„Brühüü-hüder!“ Nein. Wie meine älteren Brüder wollte ich’s nicht machen: Degenhardt hören. Immer dieses “Brühüü-hüder!“ – drei hart gestufte harmonische Rückungen, ohne jedes Gespür für die wunderbare, natürliche Binnenspannung des Wortes: Brüder. Was eine Ober- beziehungsweise Unterstadt sein sollte, war mir als Bewohner der Karlsruher Rheinebene ohnehin unverständlich.

Kaum von zu Hause ausgezogen, geriet ich schon wieder in den Degenhardt’schen Einflussbereich, diesmal in der katholischen Variante. Sie hieß Kardinal Johannes Joachim Degenhardt und war Bischof von Paderborn, meiner Zivildienst-Stadt. In Sachen Agitationsbedürfnis nahmen sich die beiden Cousins wenig, weswegen ich – theologisch gesehen – zu Eugen Drewermann hielt. Den hatte Bischof Degenhardt gerade unsanft vom Lehrstuhl befördert.

Ich höre auch heute anderes als Degenhardt. Aber in Gegensatz zu Biermann kann Degenhardt für sich in Anspruch nehmen: Er ist kein, im Zweifelsfall an Axel S. orientierter, Besserossi, sondern ein unbeirrbarer Wieimmerwessi. Diese Konstanz seiner Haltung ist zu würdigen. HENNING BLEYL

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Weißer Rabe, rote Seele

Mindestens ein Dutzend Mal habe ich Franz-Josef Degenhardt in den letzten 40 Jahren erleben können, und immer war er für mich inspirierender Agitator und unermüdlicher Propagandist für das Klare und Einfache, das so verflucht schwer zu machen ist. Bei UZ-Pressefesten mit vielen tausend Besuchern, bei Ostermärschen und das letzte Mal vor zwei oder drei Jahren in der kleinen Geflügelzüchterhalle der Bergarbeiterstadt Obernkirchen mit seinem prächtigen Sohn und Kollegen Kai Degenhardt, während mir ein schlaumeierndes Schulmeisterlein aus der ideologischen Resterampe immer wieder unaufgefordert ins Ohr säuselte: „Jaja, dieses Väterchen Franz. Auch so einer, der nichts dazugelernt hat. Fast schon peinlich, irgendwie!“

Fast hätt er dafür einen Tritt in die Eier mit schönem Gruß von des hochverräterischem Biermann seiner Oma Meume kassiert. Der geschätzte Poet und Internationalist aber möge seinen 75. Geburtstag unter dem angenehmsten Pflaumenbaum dieser Welt gefeiert haben und bestimmt waren Heinrich Heine, das Hasenschartenkind und Tonio Schiavo auch irgendwie dabei. Unverbesserlich, eben, dieser weiße Rabe mit der roten Seele, der zum Glück seine eigene Parole auf das Schönste widerlegt hat, nämlich dass die Zwischentöne nur Krampf im Klassenkampf seien.

Möge er auch Auge und Ohr jener erreichen, die ihre roten und blauen Bände einstweilen im ideologischen Pfandhaus deponiert haben: Solche Männer braucht das Land.

ULRICH „URDRÜ“ REINEKING