Schritt für Schritt

Der Breakdance als Subkultur der Hiphop-Bewegung erlebt eine Renaissance. Nike, Sony und Red Bull entdecken den B-Boy als geeignete Werbefigur. Doch der letzte Schritt zur Professionalisierung des Sports will nicht recht gelingen. Ein Besuch beim „BC One“, dem Gipfeltreffen der Branche in São Paulo

AUS SÃO PAULO THOMAS WINKLER

Die Legende hat leicht zugelegt. Die Oberarmmuskulatur ist immer noch beeindruckend, aber unter dem weiten, gelben, ärmellosen T-Shirt zeichnet sich nun doch ein Bäuchlein ab. Kein Wunder, Richard Colon ist mittlerweile 40 Jahre alt, drei Jahrzehnte im Geschäft und unter seinem Pseudonym Crazy Legs der bekannteste B-Boy der Welt. Heute sitzt das Gründungsmitglied der sagenumwobenen Rock Steady Crew in Reihe neun auf einer Holztribüne in São Paulo, als einer von mehr als 1.000 Zuschauern. Die Vergangenheit des Breakdance sieht zu, wie sich die Zukunft entwickeln könnte.

Denn an diesem brasilianischen Frühlingstag ist São Paulo nicht nur glitzernder Luxus und erbärmlichstes Elend auf engstem Raum, nicht nur die Verbrechenshauptstadt der Welt und das wirtschaftliche Zentrum Südamerikas, sondern auch der Nabel der Breakdance-Welt. In einer Zeltarena neben dem Memorial da America Latina, einer der wenigen Sehenswürdigkeiten des überraschend gesichtslosen Molochs, streiten 16 junge Männer um den inoffiziellen Titel des Breakdance-Weltmeisters.

Das „BC One“ ist ein Einladungsturnier. Die Allerbesten ihrer Zunft wurden vom Sponsor, dem Marktführer für Energy-Drinks, aus den USA und Südkorea, Peru und Frankreich, Südafrika oder Japan eingeflogen. Ihre akrobatischen Fähigkeiten sind zirkusreif, der Trainingsaufwand ist mit dem von Leistungssportlern vergleichbar. Die Verdienstmöglichkeiten sind allerdings noch arg eingeschränkt. Das „BC One“ hat sich auch deshalb bereits im dritten Jahr einen solch soliden Status in der Szene erarbeitet, weil das Geld des Sponsors den weltbesten Breakern nicht nur Flügel verleiht, sondern auch vergleichsweise großzügig unter allen Teilnehmern verteilt wird. Der Gewinner geht mit 5.000 Euro nach Hause. Bei anderen Events wie dem größten Branchentreffen, dem „Battle of the Year“ mit mehr als 7.000 Besuchern, müssen selbst die Sieger meist mit der Ehre vorliebnehmen.

Der Breaker als Werbefigur

Das könnte sich demnächst ändern. Denn gut drei Jahrzehnte nachdem es auf den Straßen der New Yorker Ghettos als eines der Elemente der Hiphop-Kultur geboren wurde, entdecken die Global Player das B-Boying: Im Oktober kam mit „B-Boy“ erstmals ein entsprechendes Spiel für die Playstation in die Läden, und der Sportartikelgigant Nike lässt in Werbespots Breaker Fußball spielen. Größter Förderer der Subkultur ist allerdings weiterhin Red Bull. Der Weltkonzern aus dem österreichischen 1.400-Seelen-Dorf Fuschl am See steckt zwar nur einen marginalen Teil seines mehr als 300 Millionen schweren Marketingetats in den Breakdance, tritt aber mittlerweile bei nahezu jeder Veranstaltung als Sponsor auf.

Das nun schon lange Jahre andauernde Engagement hat dazu geführt, dass die blausilbernen Dosen selbst unter altgedienten B-Boys einen guten Ruf genießen. Auch Niels Robitzky, unter seinem Tänzernamen Storm eine Berliner B-Boy-Institution und in São Paulo Präsident der Jury, weiß den Sponsor zu schätzen: „Egal wo ich hinkam, Red Bull war immer auf dem Plakat“, erzählt der mit seiner Breakdance-Show zuletzt durch Brasilien und demnächst durch Vietnam tourende 37-Jährige. „Alle Hiphopper sind froh, dass die Marke eine offene Hand hat.“

Zudem ist der Limonadenhersteller clever genug, die in der Szene hochgeschätzten Werte wie „Realness“ (Echtheit) oder „Credibility“ (Glaubwürdigkeit) zu beachten. Auch in São Paulo ist das Marketing im Umfeld der Veranstaltung wenig aufdringlich, der Red-Bull-Schriftzug nur selten zu finden. Das „BC One“ geriert sich auch gar nicht erst als offizielle Weltmeisterschaft, denn nichts läge der anarchischen Szene ferner, als die Vereinsmeierei des organisierten Sports zu adaptieren. Aber das Event und vor allem das ausgeschüttete Preisgeld sind, so Storm, ein „weiterer Schritt zur Professionalisierung“. So hat sich das „BC One“ im dritten Jahr seines Bestehens bereits zu einem der wichtigsten Schaufenster der Szene entwickelt. Die Gewinner sind Stars. Mit den prominentesten Namen werden DVDs verkauft, ihre „Moves“ genannten Tricks kann der Nachwuchs im Playstation-Game nachspielen. Der Schwierigkeitsgrad dieser Moves ist atemberaubend. Mit Salti, Flickflacks und fliegenden Scheren stellt mancher Breaker selbst olympiaerfahrene Bodenturner in den Schatten. Drei bis vier Stunden tägliches Training sind dazu nötig – der regelmäßige Gang in den Kraftraum, wie ihn Storm empfiehlt, ist jedoch noch weitgehend verpönt.

Breakdance ist im Schatten des weltweiten Siegeszugs der Hiphopkultur auf dem ganzen Planeten verbreitet. In Südkorea werden ganze Breakdance-Musicals erfolgreich inszeniert. Und das Niveau beim „BC One“ ist mittlerweile so hoch, dass in São Paulo der Titelverteidiger Lilou aus Frankreich bereits in der ersten Runde gegen den brasilianischen Lokalmatador Muxibinha ausschied.

Auch für den einzigen deutschen Teilnehmer, Gengis Ademoski aus Saarbrücken, war in der ersten Runde Endstation. Das Lospech hatte dafür gesorgt, dass Lil Ceng, wie er sich nennen lässt, bereits zum Auftakt gegen den späteren Sieger, den Koreaner Hong 10, antreten musste. Der 15-jährige Saarländer war der jüngste der eingeflogenen Könner. Sein Stil ist kraftvoll und dynamisch, voller klassischer Moves und mit großem Potenzial, aber noch fehlt ihm das Showtalent, das einige seiner älteren Konkurrenten besitzen. Doch für den Teenager war schon die Einladung nach Brasilien, die mit dem Wissen einherging, zu den 16 besten Breakern der Welt zu gehören, eine Auszeichnung. Ob er nach seinem Schulabschluss eine Profikarriere anstreben soll, weiß der Realschüler allerdings noch nicht: „Ich hab Angst, dass einem da der Spaß vergeht, wenn das Tanzen zum Beruf wird.“

Das Breaken als Profession – eine Option, die zumindest für einige Jugendliche realistisch wird, wo nun langsam Geld in die Szene kommt. Bislang beschränkten sich die Verdienstmöglichkeiten für einen B-Boy meist darauf, die Staffage in Videoclips von Rapstars abzugeben, bei der Eröffnung eines Autohauses vorzutanzen oder in der Fußgängerzone ein paar Tricks vorzuführen. Crazy Legs wurde immerhin dafür bezahlt, Jennifer Beals in einer Szene von „Flashdance“ zu doubeln. Doch eine Karriere wie die von Storm, der Hiphop ins Theater bringt und mittlerweile vom Goethe-Institut auf Reisen geschickt wird, ist immer noch die Ausnahme.

Der B-Boy: neues Berufsbild?

Dass sich das B-Boying entwickeln könnte wie das Skaten oder Snowboarden, zum regelmäßig im Fernsehen übertragenen Sport mit Turnierserien unter Profibedingungen, einer ganzen Reihe von Sponsoren und olympischer Perspektive, das ist – trotz der in São Paulo demonstrierten sportlichen Höchstleistungen – zweifelhaft. Denn dem Tanz aus den amerikanischen Ghettos fehlt eine zentrale Eigenschaft aller erfolgreichen Trendsportarten: Es gibt keine Ausrüstung zu verkaufen. Zum Breaken braucht man nur seinen Körper und den Willen, diesen jahrelang zu quälen. Es gibt keine Skateboard-Firmen, keine Surfbrett-Designer, die nach Werbeträgern suchen.

Andere Elemente der Hiphopkultur haben weit bessere Vermarktungschancen. Rapper verkaufen Platten, DJs legen in Clubs auf, selbst die notorisch illegalen Writer werden, wenn sie nicht vorher im Knast landen oder das Sprühen aufgeben, irgendwann zu Graffitikünstlern. Der B-Boy betreibt seine Leidenschaft oft noch ehrenamtlich – auch wenn erste Schritte in Richtung Professionalisierung gegangen wurden.