Wettkampf und Wettbetrug

FUSSBALL Nigeria steht im Verdacht, ein Freundschaftsspiel manipuliert zu haben. Die Liste der „betrugsanfälligen WM-Teilnehmer“ ist lang. Die Fifa will reagieren

Die Fifa will Beobachter einsetzen, die in der Pause Zugang zu den Kabinen haben

VON TOM MUSTROPH

Postpostmodernisten wissen, dass es immer mehrere Perspektiven gibt. Das gilt auch für so eine feine Sache wie die Fußball-WM. Da haben nicht nur die Anhänger der einzelnen Nationen je unterschiedliche Interessen beim Betrachten der Spiele der eigenen Mannschaft sowie der potenziellen Gegner im weiteren Turnierverlauf. Hinzu kommt die große Population der Wetter. Die ist hierzulande nur eine wahrscheinlich eher kleine Teilmenge aller Fußballzuschauer, wenngleich Unternehmen wie der Trikotsponsor des FC Bayern hart daran arbeiten, diese Teilmenge zu vergrößern. In Asien hingegen sind Fußballzuschauer nur eine Teilmenge von Sportwettern. „Das ganze Stadion ist voller Wetter“, staunte in jungen Jahren der prominente Spieleverschieber Wilson Raj Perumal – und schlug aufgrund dieser Erfahrung seinen Berufsweg ein.

Schon in der Vergangenheit pirschte sich der Mann aus Singapur an das WM-Turnier heran. Er manipulierte nachgewiesenermaßen Vorbereitungsspiele des WM-Gastgebers Südafrika sowie des WM-Teilnehmers Nigeria unmittelbar vor dem 2010er Turnier. In einem unlängst erschienen Buch brüstet er sich gar, Nigeria und Honduras stark gemacht zu haben, und beschreibt zugleich sein Ego-Problem: „Ich habe zwei Teams zur WM-Teilnahme verholfen und darf es niemandem sagen.“ Das ist berufsbedingtes Leiden.

Ausgerechnet Nigeria ist vor dieser WM wieder ins Gerede gekommen. Ersatztorwart Austin Ejide faustete bei einem Freundschaftsspiel gegen Schottland einen Ball so ungeschickt ins eigene Tor, dass sogar die britische National Crime Agency, die im letzten Herbst erst durch Privatdetektive zu Ermittlungen gegen Spielmanipulatoren in englischen Ligen getragen werden musste, die Fifa warnte. Ob auch hier Perumal oder seine Handlanger mitmischten, ist ungewiss. Der Mann sitzt wieder einmal in Haft – derzeit in Finnland. Aber aus einem Zeugenschutzprogramm der ungarischen Polizei heraus hatte er letzten Sommer Manipulationen im australischen Fußball organisiert.

Nigeria jedenfalls steht auf der Liste der betrugsanfälligen WM-Teilnehmer, die der Wettbetrugsexperte Declan Hill im Deutschlandfunk genannt hat. Manche Spieler verdienten, wenn sie Glück haben, 1.000 Dollar im Monat. „Und jetzt haben sie diese einmalige Chance in ihrem Leben, bei der WM zu spielen“, machte Hill als Betrugsanreiz aus. Er forderte die Fifa auf, gewissermaßen gegen die Manipulatoren zu bieten: „Zahlt den Spielern für die WM ein Gehalt!“

Immerhin nimmt die Fifa die Betrugsgefahr mittlerweile ernst. Fifa-Sicherheitsexperte Ralf Mutschke nennt Kriterien für anfällige Spielergruppen. Mutschkes Liste deckt sich weitgehend mit der von Declan Hill, der neben Nigeria noch Honduras, Ghana und Kamerun nannte. Am „meisten gefährdet“ ist laut Mutschke „die letzte Runde der Gruppenspiele mit Teams, die nichts mehr zu gewinnen haben“. Er geht davon aus, dass sich die Manipulateure nicht um Einreise nach Brasilien bemühen werden, sondern den Kontakt zu „ihren“ Spielern und Referees bereits aufgenommen haben.

Mutschke kündigte zur Verhinderung des Ganzen den Einsatz einer schnellen Eingreiftruppe sowie eines speziellen Fifa-Manns im Stadion an, der vor dem Spiel oder in der Halbzeitpause auch Zugang zu den Kabinen hätte.

Die Aufklärung ist in diesem Falle aber durch die Menge der erwarteten Wetteinsätze gefährdet. Bei derartigen Summen fallen manipulativ veränderte Quoten nicht auf, vermutet Experte Hill. Für Abwehrfehler, Strafstöße und Rote Karten könnte es jedenfalls bei dieser WM Gründe jenseits des Rasens geben. Dieses Wissen aber integriert der postpostmoderne Mensch beim Public Viewing ganz locker in seinen Bewusstseinsstrom.