BIENNALE VERJÜNGT: KINDERAKROBATEN IM CABUWAZI-ZIRKUS, KINDERCHOR IN DAHLEM
: John Cage hätte einen Stein hingelegt

VON KITO NEDO

Es war schön warm, als am Montagabend im Hamburger Bahnhof die Gruppenausstellung „Everyday Life“ eröffnet wurde. Draußen standen ein paar Dutzend Kunst-Menschen bei Bier und Bratwurst. Drinnen in der großen Halle parkte der alte VW-Golf von Florian Slotawa. Das Auto hatte der Künstler 2002 mitsamt all seinem verpackten Habseligkeiten als Umzugsskulptur „Gesamtbesitz“ an das Sammlerpaar Barbara und Axel Haubrok verkauft. Später ging die Installation als Dauerleihgabe an die Berliner Nationalgalerie. Nun zeugt es im Ausstellungsraum wie ein Relikt von der jüngsten – womöglich weniger beschleunigten – Vergangenheit.

Über andere aus der Zeit gefallene Kunst stolperten wir später, als wir auf dem Rückweg nach Kreuzberg an einem bunt verschraubten Containerpavillon direkt vor dem Bundestag vorbeikamen. In dem hell erleuchteten Häuschen, das wie ein Kindertagesstätten-Notbehelf wirkte, saß ein einsamer Wachmann. Über der Tür pappte eine große Fotokopie: „Markus Lüpertz – Das Grundgesetz“. Lustige Lüpertz-Kunst! Wunderbar! Gerne wären wir geblieben. Es war aber kalt geworden, und wir mussten schnell weiter.

Am nächsten Abend fuhr ich mit dem Bus zum Spreewaldplatz, wo im Cabuwazi-Zirkuszelt an der Wiener Straße eine Performance der französischen Konzeptkünstlerin Dominique Gonzalez-Foerster angekündigt war. Eine verregnete Angelegenheit: Drinnen wurde noch geprobt, draußen drängelten sich Künstler, Kuratoren, Kritiker und Sammler wegen Kälte und Nässe unter das kleine Vordach. Bevor die in Paris und Rio de Janeiro lebende Künstlerin selbst als monologisierende Lola-Montez-Wiedergängerin die Manege betrat, führten acht rot bekleidete Kinderakrobaten artistische Kunststücke auf großen roten und blauen Medizinbällen vor und ernteten den Beifall des Publikums.

Neben mir saß der Bassist des berühmten Art Critics Orchestra und wippte im Takt der Marschmusik von John Philip Sousa. Der unaufgeregte Wochenauftakt fühlte sich gut an: Fast reibungslos glitt man in die Berlin-Biennale-Zeit hinüber, deren achte Ausgabe zur Wochenmitte an drei verschiedenen Orten eröffnen sollte. Obwohl: Biennale-Fieber war vorher in der Stadt nicht wirklich aufgekommen. Seit der letzten Occupy-Biennale von Artur Zmijewski vor zwei Jahren waren die Erwartungen eher gedämpft. Nun wurde schon über die Einbeziehung der peripheren Museen im alten Westen der Stadt gejubelt, was ja für sich genommen keine Sensation darstellt.

Kinder spielten auch am Mittwochabend bei der Performance von Danh Vo und Xiu-Xiu-Frontmann Jamie Stewart anlässlich der Biennale-Eröffnung im Foyer des Museum Europäischer Kulturen in Dahlem die Hauptrolle. Für „New Collaboration“ hatten der in Mexico City lebende Künstler und der Musiker aus Los Angeles eine Art gregorianischen Gesang für einen Knabenchor komponiert. In ihren Schuluniformen wirkten die Kinder gar nicht berlinerisch, sondern eher wie von einer strengen englischen Boarding School.

Rechts vom Chor war ein kleiner Junge allein damit beschäftigt, zwanzig Minuten lang ununterbrochen eine Taste an einem Synthesizer zu drücken, während auf der linken Seite eine Frau in Floralina-Trainingsanzug einen übergroßen chinesischen Gong bearbeitete. Das Ganze wurde hingebungsvoll von einem kräftigen Chorleiter dirigiert. Am Ende sangen die Knaben die deutsche Nationalhymne und der Gong schepperte final-gewaltig. Der Applaus fiel schwer. Bei dem tiefen Halteton aus dem Synthesizer, so klärte mich die Künstlerin und Musikerin Michaela Melián später auf, handelte es sich um einen sogenannten Bordun-Ton, einen durchgängigen Brummbass. Es sei jedoch ziemlich umständlich, für dessen Erzeugung so lange eine Taste gedrückt zu halten: „John Cage hätte da einfach einen Stein hingelegt.“

Den Rest der Woche war man damit beschäftigt, die verschachtelte Biennale zu durchstreifen. Was mitunter in ganz einfache Erkenntnisse mündete: „Das Schönste an der Biennale in Dahlem“, sagt etwa der Galerist André Schlechtriem, „ist Dahlem.“