In Viehwaggons gepfercht

Nicht jedes historische Datum ist für die Bahn ein Grund zu feiern: In Hamburg erinnern Überlebendenorganisationen heute an die Deportation von 756 Hamburgern vor 65 Jahren – und an die Mitwirkung des Unternehmens an der Vernichtungspolitik des „Dritten Reichs“

Die Geschichte der Deutschen Bahn ist nicht nur eine Geschichte von technischem Fortschritt und Innovation im Nah- und Fernverkehr. Es ist auch die Geschichte eines Unternehmens, das im Nationalsozialismus die Logistik für die Deportation tausender Menschen in Konzentrationslager stellte.

Die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld hat lange um diese Einsicht gekämpft. Erst Anfang Dezember stimmte Bahnchef Hartmut Mehrdorn nach fast zweijährigem Ringen schließlich zu, ab Januar 2008 auch auf deutschen Bahnhöfen eine Ausstellung über die Rolle der damaligen Reichsbahn im Holocaust zu zeigen. Nun verlangen die Überlebendenverbände, darunter das Internationale Auschwitz Komitee, die Geschichtsaufarbeitung auch lokal anzugehen. Während der Hamburger Hauptbahnhof in dieser Woche sein 100-jähriges Bestehen feiert, hält die Arbeitsgruppe „11.000 Kinder“ heute vor dem Gebäude eine Mahnwache für jene jüdischen Kinder und Erwachsenen ab, die am 6. Dezember 1941 von Hamburg aus nach Riga deportiert und dort ermordet wurden.

Der 6. Dezember markiert für die unrühmliche Geschichte der Bahn im Nationalsozialismus eine Zäsur: An jenem Wintertag vor 65 Jahren wurde ein Großteil der Führungsschicht der Hamburger Juden mit dem Güterzug nach Riga deportiert: darunter der Oberrabbiner Joseph Carlebach mit seiner Familie. Insgesamt fuhren an diesem Tag 756 Menschen von Hamburg aus ins Konzentrationslager Stuttenhof in Riga – die Tickets mussten sie selbst bezahlen. Die meisten Deportierten wurden in Stuttenhof getötet, nur 24 Menschen überlebten, darunter sechs der insgesamt 92 Kinder, die zu dem Transport gehörten.

Der Zug fuhr vom Vieh-und Güterbahnhof an der Hamburger Sternschanze ab, passierte den Hauptbahnhof und verließ die Stadt schließlich vom Hannoverschen Bahnhof aus Richtung Osten. Dieser Bahnhof, eigentlich nur für Güterzüge konzipiert, lag da, wo die Stadt heute die neue Hafencity aus dem Boden stampft. Dass die Menschen dort in die Waggons gepfercht wurden, erklärt der Historiker Marut Perle mit zwei Aspekten: Zum einen wollten die Nationalsozialisten die Deportationen nicht am Hauptbahnhof starten, weil dort zu viel Publikumsverkehr und damit Öffentlichkeit war. Zum anderen gehörte es Perle zufolge zur „Denunziationsästhetik“ des Regimes, Juden, Sinti und Roma sowie politische Oppositionelle an Vieh- oder Güterverladestellen in die Züge zu zwingen.

Laut dem Historiker, der intensiv zur Rolle der Bahn im Holocaust forscht, weist das Unternehmen die Verantwortung für das Bereitstellen der Logistik dem damaligen Reichsverkehrsministerium zu. Dabei hätten die örtlichen Behörden durchaus eigene Entscheidungsgewalt gehabt, so Perle. Das Land war damals in so genannte Reichsbahndirektionen unterteilt, die wiederum in den einzelnen Städten ihre Unterbehörden hatten. Die Reichsbahnämter vor Ort, sagt Perle, waren in die Planung und Organisation der Deportationen unmittelbar eingebunden. Der Historiker kennt ein Originaldokument, in dem die Fahrkartenausgabestelle des Hamburger Hauptbahnhofes eine Rechnung für Deportationsleistungen an die Waffen-SS stellt.

Mit diesem Teil seiner Geschichte hat sich das Unternehmen bislang kaum befasst. Nun wiederum fürchten die Überlebendenverbände, dass die Bahn sich selbst die Deutungshoheit über die Geschichte vorbehält und die Überlebenden bei der Konzeption der Ausstellung ausgeschlossen sind. Sie verlangen, einbezogen zu werden.ELKE SPANNER

Mahnwache: heute ab 14 Uhr vor dem Eingang Glockengießerwall. Lesung der Namen ermordeter Kinder ab 17.30 Uhr