Nazis gehen vor

Damit Nazi-Anwalt Rieger das Delmenhorster Stadthotel nicht kaufen kann, macht die städtische Wohnungsbaugesellschaft fleißig Schulden. Für die Sanierung ihrer Wohnungen fehlt ihr das Geld

aus Delmenhorst ARMIN SIMON

Björn Müller* hat sich daran gewöhnt. An die nasse Wand in seiner Küche. Daran, dass der Putz abblättert und auf dem Boden Dreck macht. Weil das Wasser von hinten so drückt. „Das ist schon lange so“, sagt Müller. Auch in seinem Bad bröckelt es, schimmelt es. Er spricht nicht gern darüber.

Müller weiß auch, woher das Wasser kommt. Vor Jahren nämlich war das Fallrohr an dem vierstöckigen Block kaputt, durchgerostet vielleicht, oder verstopft, oder beides. Der Regen floss die Hauswand runter, in die Hauswand rein. Ein Jahr lang, erzählt Müller, habe es gedauert, bis die Handwerker anrückten. Die bauten ein neues Regenrohr ein. Die Wand in seiner Küche rührten sie nicht an.

Auch die Balkone nicht. Obwohl die an der Unterseite schon flächig bröckeln. Wie im Nachbarblock. Dick hat sich der Rost auf die Geländer gesetzt, die Wellbleche mit schwulstigen Narben überzogen. Die Frau im Fenster zuckt die Schultern. So ist das hier eben.

Müller wohnt in Delmenhorst, Stadtteil Düsternort, in einer Wohnung der GSG, der Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft mbH, die zu 89 Prozent der Stadt Delmenhorst gehört. Fünf Jahre ist es her, dass die GSG Müller und den anderen MieterInnen eine Balkonsanierung versprach. Dann blies sie das Vorhaben ab, „aus finanziellen Gründen“.

Geld investiert die GSG derweil in andere Objekte. In das „Hotel am Stadtpark“ etwa, das dessen Eigentümer, Günter Mergel, an die „Wilhelm-Tietjen-Stiftung“ des Hamburger Neonazis Jürgen Rieger verkaufen wollte. Bis die Stadt die GSG verpflichtete, den Bau selbst zu kaufen. Drei Millionen Euro soll Mergel dafür bekommen, mehr als das Doppelte des gutachterlich festgestellten Wertes. 935.000 Euro haben Delmenhorster BürgerInnen und Firmen dafür gespendet, gut anderthalb Millionen steuert die Stadt bei. Die fehlenden 500.000 Euro, das hat sie in ihrer Funktion als Gesellschafterin beschlossen, soll die GSG als Kredit aufnehmen. Der Kaufvertrag, kündigte Oberbürgermeister Patrick de La Lanne (SPD) vor über 200 Interessierten am Montagabend an, könne „in den nächsten Tagen“ unterschrieben werden (siehe Kasten).

Kerstin Rabe will auch kein Nazi-Zentrum in der Stadt. Bei jeder Demo ist sie mitmarschiert, Unterschriften hat sie gesammelt, beim Bürgerforum ist sie aktiv. Gespendet aber, für den Hotelkauf, hat sie keinen Cent. Einem skrupellosen Geschäftsmann wie Mergel dürfen man nicht noch Geld in den Rachen werfen, findet sie.

Dass ihre Vermieterin, die GSG, jetzt für den Hotelkauf noch Schulden mache, sagt Rabe, das sei dreist: „Jahrelang haben sich die Bewohner hier anhören müssen, dass die Mittel nur für das Nötigste reichen“, schimpft sie. Ihr Arm wandert nach oben. Das Ziegeldach hat Lücken, die Regenrinne ist abgebrochen. Drunter wohnen MieterInnen der GSG.

Geschäftsführer Ludwig weiß um den Handlungsbedarf. Zwar sei „bröckelig“ für den Zustand der Balkone „ein bisschen harter Ausdruck“. „Gefahren bestehen nicht“, betont er. Bei vielen Wohnungen aber gebe es „ganz klar einen erheblichen Sanierungsbedarf“, insbesondere, wenn man neue MieterInnen gewinnen und die Zahl der Leerstände reduzieren wolle. Ein 500.000 Euro-Kredit, wie er ihn jetzt für den Hotelkauf aufnehmen soll, sei auch dafür „selbstverständlich wünschenswert“.

Die Befürchtung, dass letztlich MieterInnen der GSG die finanziellen Folgen des Hotelkaufs tragen müssten, weist Ludwig indes zurück. „Dass Mieter externe Geschäfte ausbaden sollen, daran ist keinesfalls gedacht.“ An erster Stelle stehe für ihn „das Wohl der Mieter“. Mit der Stadt sei „im Grundsatz vereinbart, dass die GSG durch den Hotelkauf nicht geschädigt werden soll“. Allerdings habe auch die GSG ein eigenständiges Interesse daran, ein Nazi-Schulungszentrum in der Stadt zu verhindern. Andernfalls, so Ludwig, würden „nicht unerhebliche Teile“ der Mieterschaft Delmenhorst den Rücken kehren.

Welche Folgekosten der Hotelkauf tatsächlich mit sich zieht, kann oder will derzeit niemand sagen. Der erste Nachschuss ist allerdings schon abzusehen: Notar- und Honorarkosten sind in den bewilligten drei Millionen Euro nicht enthalten. Gleiches gilt erst recht für eventuell anfallende Umbaukosten. Als Wohnungen jedenfalls, lässt Ludwig durchblicken, ließen sich die rund 100 je 15 Quadratmeter großen Hotelzimmer so einfach nicht nutzen. *Name geändert