: Hier spricht Paris
Heute geht der Nachrichtensender France 24 auf Sendung – als Widerpart zu britischen und US-Konkurrenten: „Unsere Mission besteht darin, Frankreichs Werte in der Welt zu verbreiten“
AUS PARIS RUDOLF BALMER
In den Gängen riecht es nach frischer Farbe, auf dem Boden werden Kabel verlegt und Kartons mit Designermöbeln ausgepackt. Handwerker und Journalisten hasten durch die zwei noch unbeseelt wirkenden Stockwerke in einem Bürohochhaus im Medien- und Kommunikationsviertel Issy-les-Moulineaux am südlichen Pariser Stadtrand.
Im Lärm von Bohrmaschinen werden Testaufnahmen gemacht. In der französischen und der englischen Senderegie geht es bereits zu wie in einem Bienenhaus: „Five, four, three, two, one …“, zählt der Sendeleiter runter, und auf dem Bildschirm erscheint auf Knopfdruck eine Korrespondentin in Jerusalem.
Noch führen Redaktionsmitglieder, Studiogäste und die Nachrichtensprecher nur Selbstgespräche, denn nichts geht raus. Doch die große Stunde naht, und die Aufregung unter den Journalisten und Technikern steigt spürbar, je näher der Startschuss rückt: Heute um 20.29 Uhr geht France 24 auf Sendung – zunächst nur auf Französisch und Englisch, in einigen Wochen auf Arabisch und, so der Geschäftsführer und ehemalige Deutschland-Korrespondent Gérard Saint-Paul, eines Tages vielleicht auch auf Deutsch. In den ersten 36 Stunden sendet France 24 ausschließlich im Internet, danach werden die halbstündlichen Nachrichten und die Informationssendungen dazwischen per Satellit und Kabel in die ganze Welt ausgestrahlt.
Geburtshelfer Chirac
Zur offiziellen Einweihung wird als Taufpate Staatspräsident Jacques Chirac erwartet. Er hat seit den 1980er-Jahren einen solchen Sender als Stimme Frankreichs in der Welt gewünscht. Nach der „exception culturelle“ will Paris seine „exception audiovisuelle“ verteidigen.
„Everything you’re not supposed to know“ („Alles, was Sie eigentlich nicht wissen sollten“) steht auf der blauen Glasfassade des Haupteingangs. Noch vor dem ersten Sendetag aber wurde dieses verschwörerisch klingende Motto, das suggerierte, das Wesentliche werde den Fernsehzuschauern verheimlicht, geändert in das in seinem Anspruch etwas bescheidener wirkende „Beyond the news“, respektive: „Au-delà de l’info“ („Über die Nachricht hinaus“).
Dass die Fakten allein nicht für sich sprechen, sondern etwas dahintersteckt, das enthüllt oder erklärt werden muss, bleibt also im Kern das journalistische Leitmotiv. Ist das der French touch, der France 24 von anderen Nachrichtensendern wie CNN, al-Dschasira, BBC World oder Deutsche Welle unterscheiden soll? Die Information rund um die Uhr ist nicht bloß für Auslandsfranzosen und Frankophile gedacht, sondern vor allem für die opinion leaders weltweit, „Männer und Frauen aus Politik, Medien, Wirtschaft, NGOs und Universitäten“. Den Anteil dieser an der Meinungsbildung beteiligten und informationshungrigen Zuschauer schätzt France 24 großzügig auf „25 bis 30 Prozent der Weltbevölkerung“. Und genau dieses Zielpublikum stehe der fast ausschließlich „angelsächsischen“ Berichterstattung über das Weltgeschehen skeptisch gegenüber.
Der Präsident von France 24, Alain de Pouzilhac, kommt aus der Werbebranche. Er verkauft das neue Produkt mit dem Label „Made in France“: „Unsere Mission besteht darin, Frankreichs Werte in der Welt zu verbreiten.“ Ganz im Sinne von Präsident Chirac sagt er: „France 24 ist im weltweiten Krieg um das Bild ein unverzichtbares Projekt, um Frankreichs Einfluss zu stärken.“
Kein Staatsfernsehen
Das klingt sehr nach einem nationalen Interessen verpflichteten Staatssender. Die Journalistenverbände protestierten bereits dagegen. De Pouzilhac verwies sie auf die redaktionelle Charta, welche die Meinungsvielfalt garantiert und festhält: „Wir sind die Stimme von niemandem und von keiner Regierung gelenkt.“
Diese Richtigstellung war anscheinend nötig: France 24 ist zwar ein privates Unternehmen, das zu gleichen Teilen der öffentlichen Gesellschaft France Télévision und der privaten Gruppe TF1 gehört. Doch der französische Staat schießt dem neuen Sender fürs erste Jahr etwas mehr als 80 Millionen Euro als Subvention vor.
Für Arnab Banarjee ist die französische Optik keine Frage der Nationalität, sondern der Geisteshaltung: „Es ist eher eine kritische Betrachtung, die auch hinter die Ereignisse schaut.“ Der heute 30-Jährige wuchs in Indien auf und ist nach seinem Studium in Paris geblieben. Als einer der Koordinatoren der Internetseite ist er speziell für Kulturthemen zuständig. Er spricht und schreibt wie die meisten bei France 24 perfekt Englisch und Französisch.
Die Zweisprachigkeit (Englisch-Französisch, Arabisch-Französisch) war ein Hauptkriterium bei der Rekrutierung der 170 Journalisten und Journalistinnen. Die Redaktionsmitglieder englischer Muttersprache kommen aus britischen, amerikanischen und australischen Fernseh- und Pressegruppen. Insgesamt sind unter den 380 Beschäftigten des Senders 27 Herkunftsländer vertreten. Die meisten sind jung, der Altersdurchschnitt liegt bei gerade mal 31 Jahren und der Anteil der Frauen ist ungewöhnlich hoch: 65 Prozent.
Ebenso kosmopolitisch wie dieses Team ist das Spektrum der Themen und Regionen, über die der neue Nachrichtensender France 24 berichten wird. Denn die französische Sicht hat universelle Ambitionen.
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