Einladung zum Lesen

Braucht es eine Begründung dafür, literarische Texte in einer Zeitung zu drucken? Nö. Wir haben trotzdem eine. Die Entstehung der literarischen Kurzgeschichte ist eng mit der Entwicklung des modernen Pressewesens verknüpft. Für Zeitungen und Zeitschriften wurden Kurzgeschichten konzipiert und geschrieben. Eine schöne Sache eigentlich. Könnte man, dachten wir, ruhig mal wieder ausprobieren.

Gesagt, getan. Die taz hat in dieser Silvesterausgabe also die sonntaz freigeräumt. Für zwanzig Kurzgeschichten, die zum großen Teil extra für diese Ausgabe geschrieben, teilweise auch (wir sind ja Profis) aus der Schublade gezogen wurden. Bis auf eine waren alle Geschichten bislang unveröffentlicht. Der Text von Parsua Bashi (S. 27) war uns wichtig genug, eine Ausnahme zu machen; ihn entnahmen wir ihrem gerade erschienenen Buch. Nur zwei Dinge gaben wir den beteiligten Autorinnen und Autoren vorab mit auf den Weg: dass auf dem Umschlag dieser Ausgabe der Satz „Schön, hier zu sein“ stehen wird und dass wir uns freuen würden, wenn ein Kaleidoskop aus Schreibweisen und Weltzugängen herauskäme. Ohne falsche Bescheidenheit: Genau das, finden wir, hat prima geklappt.

Wie politisch eine Kurzgeschichte sein kann, liest man bei Edo Popovic. Er ließ sich von einem in Kroatien tatsächlich gerade geführten Gerichtsprozess inspirieren, ein Obdachloser muss dort für einen Mafiamord an der Tochter eines Anwalts als Sündenbock herhalten (S. 19). Wie poetisch und genau sich den Sprachen des Begehrens hinterhersinnen lässt, demonstriert Kim Thuy (S. 22). Wie sprühend man Alltagssprache und Fantastisches zusammenbringen kann, zeigt lässig Henning Ahrens (S. 20). Die Notizen von Walter Kempowski (S. 23) haben wir aus dem Nachlass herausgesucht.

Von zwanzig Illustratorinnen und Illustratoren haben wir uns genau das Gleiche gewünscht wie von den AutorInnen – und ihnen darüber hinaus genauso freie Hand gelassen. So, wie die Texte verschiedene Möglichkeiten ausprobieren sollten, über die Gegenwart zu schreiben, sollten die Illustrationen ihre unterschiedlichen Blicke auf das Heute zeichnen: wild, verträumt, satirisch, politisch. Erst Texte und Illustrationen zusammen ergeben das Mosaik der Gegenwart. Und immer zwischendrin nimmt der Schriftsteller, Journalist und taz-Autor Detlef Kuhlbrodt auf zwölf Kalenderblättern Abschied von 2010.

Was bleibt noch zu sagen? Dreierlei. Guten Rutsch! Gutes Lesen! Und ein frohes neues Jahr.DIRK KNIPPHALS, JANA PETERSEN NADINE FISCHER (LAYOUT) PETRA SCHROTT (BILDREDAKTION)