Ich werde sehr böse sein

Ich fasse die Frage mal persönlich auf. Warum auch nicht? Andere Menschen waren mir schließlich schon im abgelaufenen Jahrzehnt egal.

Im Wesentlichen wird sich in der kommenden Dekade für mich eine längst begonnene positive Entwicklung fortsetzen, deren Kern die Erkenntnis bildet: Alles ist vorbei. Endlich entspricht das beruhigend gleichmäßige Plätschern osteogeriatrischer Diagnosen dem meines Lebensflusses, der mit wohltuender Vorhersehbarkeit dem letzten Meer entgegenströmt.

Fürs neue Jahrzehnt erwarte ich auf jeden Fall ein Plus an Ruhe und Gelassenheit. Schluss mit dem hektischen Hinterhecheln irgendwelcher Ziele, denn die sind dann alle längst verpasst. Ich steige aus dem Hamsterrad hysterischer Erfüllungsfantasien und sehe von außen den erlebnishungrigen, jungen Borderlinern gemütlich beim Weiterstrampeln zu. Sollen sie sich doch weiter mit Utopien und Idealen besaufen, dieser giftigen Gülle aus der Teufelsküche der Lebensphilosophie.

Die vergebliche Sinnsuche in den klassischen Sackgassen Beruf und Kinder hat sich nun auch theoretisch endgültig erledigt. Genau in letzteren Bereich fällt allerdings auch der einzige kleine Wermutstropfen meiner persönlichen Vorausschau: Ich werde mich perspektivisch nicht mehr schnell genug bücken können, um den Kindern anderer Leute eine zu scheuern. Aber vielleicht hat bis dahin längst ein kluger Kopf ein technisches Gerät erfunden, das die Sache für mich erledigt. Ansonsten werde ich sehr böse sein, aber gleichzeitig auch sehr zufrieden.

Abschließend noch meine einzigen Wünsche für das kommende Jahrzehnt: möglichst viele dunkle Stunden und bloß nicht so abgegessen werden wie die Arschlöcher. ULI HANNEMANN

Berliner Schriftsteller und taz-Kolumnist. Zuletzt erschien von ihm: „Neulich im Taxi“ (Ullstein 2009).