SCHLAGLOCH VON CHARLOTTE WIEDEMANN Buddhistische Hassprediger

Fast niemand kennt die Rohingya. Ihre Unsichtbarkeit hat eine Geschichte

■ schreibt als freie Journalistin über muslimische Länder und wurde vor allem mit ihren literarischen Reportagen bekannt. Ihr jüngstes Buch, „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben“, erschien bei PapyRossa, Köln.

Ob es uns berührt, wenn Menschen in einem entfernten Winkel der Erde drangsaliert werden, das hängt von zwei Faktoren ab. Nehmen sich die Medien, soziale Netzwerke inbegriffen, des Geschehens an, verkürzen sie für uns die geografische und kulturelle Distanz? Und: Gibt es Ikonen des Leids oder Kampfes, also Identifikationsfiguren, die das Drama und Unrecht auf eine Weise spiegeln, die uns – ergreift?

Myanmar, von manchen noch Burma genannt, ist wie ein Schaukasten für die Wirkungsweise dieser Mechanismen. Niemand verkörperte in der Vergangenheit die Ikone so perfekt wie Aung San Suu Kyi, die Lady mit der Blume im Haar. Fast scheint es, als habe der Begriff mit ihr überhaupt erst politisches Leben gewonnen, so sehr hat sich die Silhouette der Graziösen in das politische Bildgedächtnis eingeprägt.

Im Schatten der Lady mit Blume

Fern von diesem Lichtkegel leben in Myanmar eine Million Menschen im Schatten: die Rohingya, zu Staatenlosen erklärt und fast aller Bürgerrechte beraubt. Sie dürfen ohne behördliche Genehmigung nicht reisen, dürfen nicht mehr als zwei Kinder haben. Die Vereinten Nationen nennen die Rohingya eine der am heftigsten verfolgten Minderheiten der Welt. Es handelt sich um eine muslimische Minderheit in einem vorwiegend buddhistischen Land.

Die Rohingya haben keine Ikone, es gibt kaum Berichte, kaum Bilder; niemand identifiziert sich mit ihnen. Ihr Leid hat kein Gesicht und kein Gewicht, und es kann nicht andocken an eine größere Erzählung, jedenfalls nicht bei uns, denn die große Erzählung handelt von Muslimen als Tätern, nicht als Opfern.

Myanmar hat jetzt Geldautomaten und Baustellen für Luxus-Ressorts. USA und EU heben die Sanktionen auf, und Suu Kyi möchte Präsidentin werden. Für die Rohingya Menschenrechte zu fordern ist nicht populär.

Gegenwärtig werden die Daten einer Volkszählung ausgewertet; im Vielvölkerstaat Myanmar ein wichtiger Schritt zur Vorbereitung der Wahlen 2015, zur Klärung von Fragen der Repräsentanz. Die Rohingya sind dabei außen vor. Wer sich gegenüber den Zählern, die nach Ethnie und Religion fragten, als Angehöriger der muslimischen Minderheit zu erkennen gab, wurde auf Anweisung der Regierung nicht erfasst. Denn die Rohingya mitzuzählen hätte als erster Schritt zur Staatsbürgerschaft missverstanden werden können, meinte der Bevölkerungsminister. In der offiziellen Lesart, die anscheinend von vielen Landsleuten geteilt wird, sind die Rohingya illegale Einwanderer aus Bangladesch.

Wer sind sie wirklich? Manche Historiker führen ihren Ursprung auf arabische Seeleute zurück, die sich im siebten, achten Jahrhundert mit der örtlichen Bevölkerung vermischten. Später folgten andere Migrationsströme. Die Rohingya haben folglich keinen einheitlichen ethnischen Hintergrund, wohl aber eine gemeinsame Sprache und Kultur. Der Rakhine-Staat, wo sie sich heute konzentrieren, war einst ein eigenes Königreich namens Arakan, das zeitweise über Teile Bengalens herrschte und von den Briten dem kolonialen Burma zugeschlagen wurde. Muslime und Buddhisten lebten lange friedlich zusammen.

Bei der Unabhängigkeit 1948 wurden die Rohingya zunächst als einheimische Volksgruppe anerkannt. Ab 1962, als das Militär die Macht zum ersten Mal an sich riss, wurde ihnen die Staatsbürgerschaft dann sukzessive entzogen. Und immer wieder gab es Versuche, sie aus ihrer Heimatprovinz zu vertreiben.

In den vergangenen zwei Jahren wurden Rohingya-Wohngebiete mehrfach vom Mob angegriffen. Buddhistische Hassprediger schürten die Stimmung. Mittlerweile leben 140.000 Rohingya in überfüllten Flüchtlingslagern. Den Ärzten ohne Grenzen wurde dort kürzlich ihre Tätigkeit untersagt; andere humanitäre Helfer gewaltsam vertrieben. Viele Rohingya fliehen in Fischerbooten nach Bangladesch, Thailand, Malaysia, Indonesien. Etwa 35.000 Flüchtlinge sind allein in Malaysia registriert.

Närrische Personalisierung

Suu Kyi hat nur die Zweikindpolitik für die Rohingya kritisiert, nicht die Pogrome, nicht den Ausschluss von der Volkszählung. Sich mit den „Ausländern“ zu solidarisieren, könnte ein anderes Vorhaben erschweren: Um Präsidentin werden zu können, muss sie eine Änderung der Verfassung erwirken, die bisher das hohe Amt jedem versperrt, der einen ausländischen Ehepartner oder ausländische Kinder hat. Suu Kyis Söhne sind durch ihren verstorbenen Ehemann Briten.

Das Leid der Rohingya-Minderheit in Myanmar hat kein Gesicht und kein Gewicht. Niemand identifiziert sich mit ihr

Die Lady war stets überzeugt, selbst am besten zu wissen, was gut und nützlich ist für eine Demokratie in Myanmar. Die Tochter des Nationalhelden General Aung San betont nun den nationalen Zusammenhalt – jenen der buddhistisch-birmanischen Mehrheit, zu der sie selbst gehört.

Ich erinnere mich an eine Begegnung mit Suu Kyi in Yangon vor gut zehn Jahren. Der Hausarrest war gerade unterbrochen, sie führte unter strikter Geheimhaltung einen Dialog mit den Generälen. Im Hauptquartier ihrer Partei, eine finsteren Bude, sah ich als einzigen Schmuck zwei Wandgemälde: lebensgroß Suu Kyi und ihr Vater. Und dann stand sie da, im Haar die obligatorische Blume, doch die Ausstrahlung herrisch und kühl. Im Gespräch dozierte sie von oben herab in ihrem akzentuierten Oxford-Englisch; jede meiner Fragen, auch die allerhöflichste, wurde zunächst mit einer Zurechtweisung beantwortet. Manche in der Partei nannten sie damals bereits eine Diktatorin.

Suu Kyi, die als Baby von Generälen auf den Armen geschaukelt wurde, blieb auch im Hausarrest eine Angehörige der Oberschicht. Gedemütigt zwar, doch nie ganz isoliert. Mit den Schattenmenschen der Rohingya hat sie wenig gemein.

Wichtiger als Kritik an der Ex-Ikone wäre nun eine Kritik an den Mechanismen der Ikonen-Bildung. An dieser närrischen, obsessiven Personalisierung komplexer Zustände. Und am Schematismus, den bösen Generälen von Yangon ein unterdrücktes, sanftes Volk gegenüberzustellen – das schon deshalb sanft sein muss, weil es dort Buddhismus und schöne Pagoden gibt. CHARLOTTE WIEDEMANN