Kita wird kostenfrei! Aber wie?

Die deutsche Familienpolitik ist überholt, kritisiert der Bundespräsident. Recht hat er, findet auch die Regierungskoalition. Bloß ist umstritten, wie die Reform aussehen soll – und woher die Milliarden für mehr Kinderbetreuung kommen könnten

AUS BERLIN WOLF SCHMIDT

Nach dem SPD-Vorstoß für kostenfreie Kitas hat sich auch Bundespräsident Horst Köhler in die Debatte eingemischt. Die Politik orientiere sich an „überholten Familienbildern“, sagte Köhler gestern in Berlin. Heute müssten immer öfter beide Elternteile arbeiten, weil die beruflichen Perspektiven unsicher seien. Viele Paare könnten sich nicht mehr auf ein einziges Einkommen verlassen. „Unsere Steuer-, Sozial- und Bildungspolitik und unsere Infrastruktur hinken den Veränderungen der Familie hinterher.“ Er verlangte „zeitgemäße Strukturen“ – was er genau damit meint, ließ Köhler offen.

Familienministerin Ursula von der Leyen freut sich jedenfalls über den SPD-Vorstoß für Umsonst-Kitas. „Im Ziel sind wir uns einig: Kostenlose Kindertagesstätten wird es geben“, sagte von der Leyen der taz. Wann? Das ließ die CDU-Politikerin offen.

SPD-Fraktionschef Peter Struck hatte am Dienstag noch angekündigt, das Projekt bereits in dieser Legislaturperiode umsetzen zu wollen. Drei Jahre könnten Kinder dann in Zukunft kostenlos betreut werden. Kostenpunkt: 8 Milliarden Euro. Woher das Geld kommen soll, ist allerdings ebenfalls unklar.

Die SPD spricht von Umschichtungen im Haushalt, schließt aber gleichzeitig aus, das Kindergeld zu kürzen. Noch vor wenigen Wochen hatte der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) dafür plädiert, einen Teil des Kindergelds in die Kinderbetreuung zu stecken. Die Union lehnt dies strikt ab. Da sei man mit Gesprächen „schnell am Ende“, so der familienpolitische Sprecher Johannes Singhammer (CSU).

Im Kern geht es bei der Diskussion allerdings um viel mehr als nur einen Streit um Kindergeld und kostenfreie Kitas: Es geht um den Gesamtumbau der komplizierten deutschen Familienpolitik. Das Familienministerium will noch im Dezember ein „Kompetenzzentrum Familienpolitik“ vorstellen, in dem Experten alle Leistungen für Familien und Kinder auf den Prüfstand stellen sollen. „Wir wollen Licht in das verwirrende Dickicht bringen und überprüfen, welche Leistungen sinnvoll sind und welche nicht“, erläuterte ein Ministeriumssprecher.

Die Unionsfraktion richtete gestern zusätzlich eine eigene Projektgruppe ein, die sich anschauen soll, wie sich Leistungen für Familien und Kinder besser bündeln lassen. Die SPD hat eine ähnliche Kommission berufen.

Experten kritisieren schon lange die Unübersichtlichkeit der deutschen Familienpolitik. Über 100 Milliarden Euro gibt der Staat jährlich für die Förderung von Familien und Kindern aus, das sind knapp 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Fast 150 familienpolitische Leistungen soll es insgesamt geben, wie viele es genau sind, kann nicht einmal das Familienministerium sagen: Kindergeld, Steuererleichterungen für Ehepaare, Zuschüsse zu Kindergärten, ab Januar kommt noch das neue Elterngeld dazu. Die Politik der großen Koalition folge keinem „eindeutig erkennbaren Leitbild“, kritisiert Katharina Spieß, Familienexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in einer Studie. „Insgesamt ist das System wenig transparent und effizient.“

Was eine Reform der Familienpolitik erschweren dürfte, ist die Kompetenzverflechtung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. So wird schon die kostenfreie Kita nicht leicht umzusetzen sein. Denn die frühkindliche Bildung ist eigentlich Ländersache. Um mit Bundesmitteln die kostenlose Kita-Betreuung zu finanzieren, müsste wohl erst das Grundgesetz geändert werden. Das hat SPD-Fraktionschef Peter Struck bereits angedeutet.

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