schurians runde welten
: Im Geifer des Geschehens

„Wir sind in einer ganz sensiblen Situation, da muss man ihn nicht weiter öffentlich an die Wand nageln.“ (Thomas Doll)

In anderen Ländern rücken Enthüllungsjournalisten, nein, meistens sind es Journalistinnen, mit Mikrofon oder Diktafon den Politikern, Waffenhändlern oder Bierpanschern auf den Pelz. Tagelang warten sie vor Gerichtsgebäuden, um den Schurken endlich öffentlich vorführen zu können. Hierzulande ist das leider nicht so.

Auf Pressekonferenzen sind die Tische eingedeckt mit Kugelschreibern, Kaffeetassen und Keksen. Es geht zu wie im Hörsaal. An lange umständliche Vorträge schließen sich umständliche Fragen an. Journalisten freuen sich wie Doktoranden, wenn der Befragte schmunzelt oder ihre Frage lobt. Weil das Ganze so staatstragend daher kommt, haben die Politiker dafür längst einen eigenen Fernsehkanal eingerichtet.

Das Pressekonferenzwesen, die politisch-industrielle Gesprächslandschaft funktioniert in Deutschland nach Art einer schnarchenden Gelehrtenrepublik. Die wirklich hungrigen Enthüllungsjournalisten zieht es deshalb zum Fußball, wo sie unbarmherzig Verlierer und Verantwortliche jagen. Zu Pass kommt den Enthüllungsjournalisten, dass sie kaum etwas enthüllen müssen: Die Fußballergebnisse sind leicht zu recherchieren und die meisten Trainer, und Funktionäre stehen auch nach verlorenen Spielen, Rede und Antwort.

Um die allergrößten Sensationsjäger hervor zu locken, braucht es eine hanebüchene Pannenserie und reichlich Fallhöhe zwischen Erwartungen und Realität, kurzum, den Hamburger Sportverein. Nach der erneuten Auswärtspleite beim VfL Bochum erlebte ich zuletzt, wie es die Großmeister meiner Zunft machen. Nämlich so:

Der Kollege vom Fernsehen, mit dem bekannt guten Riecher, baute sich und seine Kameraleute nach dem Spiel so laut und polternd auf, dass es fast zu einem Handgemenge mit einem kaum weniger wichtigen Printjournalisten kam, der am Laptop gerade etwas über einen erneuten „Offenbarungseid“ des HSV tippen wollte und auf sein Ruhebitte nur ein „Wir sind hier nicht in der Kirche!“ hörte. Währenddessen linste ein grauhaariger Lockenkopf vom Boulevard auf den Bildschirm seines Printkollegen, rieb sich das Kinn, murmelte, „so,so, Offenbarungseid“. Als sich endlich der verantwortliche Trainer auf dem Podium den Fragen stellte, gab die Fernsehnase das Saalmikrofon gar nicht mehr her, fragte den glücklosen Coach als hätte er etwas verbrochen, nach Torleuten, ob Spieler noch erreicht würden... Ich sah Geifer in einigen Mundwinkeln und wünschte mich zurück zu Kaffee und Keksen. CHRISTOPH SCHURIAN

Fotohinweis:CHRISTOPH SCHURIAN (39) ist Redaktionsleiter der taz nrw und fragt sich: Müssen alte Männer so hassen?