„Oddset muss in Frage gestellt werden“

Trotz staatlichem Wettmonopol rechnet Glücksspielsucht-Therapeut Jörg Petry mit vielen Wettpatienten

taz: Herr Petry, erwarten Sie wegen der Verschärfung des staatlichen Wettmonopols weniger Patienten?

Jörg Petry: Solange es die Oddset-Wette gibt nicht. Da beginnt gerade die erste Patientenwelle. Glücksspielsucht ist erst nach fünf bis zehn Jahren derart dramatisch, dass die Spieler sich eine Therapie suchen. Oddset gibt es jetzt seit 1999 und seit kurzem tauchen immer mehr Patienten auf, die von der staatlichen Sportwette süchtig geworden sind. Ohne Monopol gäbe es natürlich noch mehr Betroffene.

Auch mit Monopol erwarten Sie mehr Patienten. Warum?

Weil das Oddset-Angebot gefährlicher ist als Pferdewetten, auf die sich die staatlichen Wetten vorher beschränkten. Jetzt kann auf alle Sportarten gewettet werden – und es werden viel mehr Menschen angesprochen. Gefährdet sind vor allem junge Männer, das haben jetzt mehrere Studien gezeigt.

Was ist so gefährlich an Sportwetten?

Dass sie scheinbar durch Kompetenz gewonnen werden können. Das macht auch den größten Reiz für die Spieler aus. Wetten sind aber trotzdem ein klassisches Glücksspiel. Auch wenn Bayern München in der Tabelle vorne liegt und gegen den Tabellenletzten antritt, können sie genau dieses Spiel verlieren. Es ist nur scheinbar kalkulierbar. In Österreich und Großbritannien, wo viel auf Sport gewettet wird, gibt deshalb tausende Suchtpatienten.

Müssten Sportwetten dann nicht ganz verboten werden?

Es wird trotzdem immer eine Nachfrage geben. Es ist die Aufgabe des Staates, das Angebot so klein wie möglich zu halten. Das ist ja die Idee eines staatlichen Monopols: Das Angebot zu kanalisieren. Deshalb ist es auch konsequent, dass nicht mehr geworben werben soll. Das Oddset-Angebot muss aber generell in Frage gestellt werden. Das geschieht leider nicht. Auch die Glückspielautomaten werden nicht angetastet. Sie dürfen in jeder Kneipe stehen, dabei sind 80 Prozent aller Süchtigen Automatenspieler.

Oddset und Lotto bringen dem Staat immerhin Geld.

Das ist ein klarer Interessenkonflikt. Die Einnahmen müssten unabhängig von jeglicher Finanzpolitik eingesetzt werden, das fordern Ärzte und Verbände schon lange. Auch wenn damit Sportvereine und gemeinnützige Stiftungen gefördert werden – Politiker können sich mit dieser Geldvergabe in ihren Wahlkreisen profilieren und Wetteinnahmen dürfen kein politisches Instrument sein. Stattdessen sollte die staatlichen Einnahmen von einer unabhängigen Kommission verteilt werden.

INTERVIEW: MIRIAM BUNJES