Weltuntergang in jedem Fall

Sonntag entscheiden die Aachener per Bürgerentscheid, ob es das Mammutmuseum „Bauhaus Europa“ geben wird. Befürworter wie Gegner prophezeien den Supergau, wenn sie scheitern

AUS AACHEN BERND MÜLLENDER

Kein Kaffeekränzchen ohne die Frage: Und, bist Du auch für das Bauhaus? Kein Kneipenabend mit gleichem Automatismus: Und wie stimmst Du am Sonntag ab? Die Leserbriefspalten der Zeitungen kennen seit einem Jahr ohnehin kaum noch ein anderes Thema: Bauhaus. Und den Bürgerentscheid. Aachen ist eine tief gespaltene Stadt. Selbst im Fanforum der Alemannia diskutieren sie seit dieser Woche ganz erregt, ob das Bauhaus wohl Auswirkungen auf den Bau des neuen Tivoli-Stadions haben mag.

Das „Bauhaus Europa“ ist Arbeitstitel für einen gigantischen Museumskomplex zwischen Dom und Rathaus. Der Wiener Architekt Wolfgang Tschapeller hat die Ausschreibung mit einem kühnen Glaspalast gewonnen. Kosten der Pracht: rund 31 Millionen Euro offiziell. 21 Millionen stellt das Land im Rahmen der Euregionale 2008. Fünf Millionen wollen Sponsoren beitragen, vom rührigen Oberbürgermeister Jürgen Linden (SPD) akquiriert. Die Namen hält er bockig geheim. Der Rest: Fragezeichen.

Vordergründiger Hauptstreitpunkt sind die Folgekosten: zwei Millionen jährlich – mindestens, eher drei. Die hätte die Stadt zu tragen. Die Prognosen gehen von bis zu 300.000 zahlenden Besuchern aus und sehen einen mächtigen Wachstumsimpuls für Einzelhandel und Stadtsäckel. Bauhausgegner halten solche Zahlenspiele für unseriös. Sie haben einen Bürgerentscheid durchgesetzt. Termin: Sonntag.

Beide Seiten prophezeihen nicht weniger als den Supergau, wenn sie scheitern. Die Befürworter (Verwaltungsspitze, RotGrün, FDP, Kaufmannschaft und Stadtadel, vor allem OB Linden) sehen Aachen ohne Bauhaus in Bedeutungslosigkeit versinken, beklagen kleingeistiges Feiglingtum und sehen in den Geldern des Landes ein einmaliges Millionengeschenk. Die anderen (Bürgergruppen diverser Schattierungen, Umweltschützer, CDU, autonome Szene) prophezeihen den finanziellen Weltuntergang durch „das Luftschloss“, einen städtebaulichen Fehlgriff mit lokaler Klimakatastrophe (wegen der Energiekosten des Glasbaus), zukünftige Komplettblockade anderweitiger Investitionen und Verhöhnung aller Schlechterverdienenden.

Vor allem ist die giftige Schwarz-Weiß-Malerei ein Musterbeispiel für falsche Kommunikation. Die Stadtspitze projektierte, entwickelte, lobte aus – und vergaß die Bürger einzubinden. Eine fatale Strategie. Viele empfinden das als Arroganz der Macht und fühlen sich übergangen. Wer jahrelang städtische Leistungen kürzt und plötzlich solch ein „Leuchtturmprojekt“ feiert, bringt Kritiker leicht gegen sich auf, die dann für ein vielleicht wirklich grandioses Projekt nicht mehr entflammbar sind.

Bis heute gibt es kein konkretes Nutzungskonzept, sondern nur Schlagworte: Europamuseum, Begegnungsstätte, Ort des Dialogs und des Lernens, europäischer Kultur- und Wissensstandort für große intellektuelle Debatten. Die vorsorglich gewählte Bauhaus-Leiterin hat indes mehrheitlich museale Konzepte im Gepäck. Beiräte tagen schon, womöglich umsonst.

Argwohn erregte auch die Durchführung des Bürgerentscheids: Der Termin liegt mitten im Weihnachtstrubel. Man muss verwirrenderweise „Ja“ (zum Verzicht) ankreuzen, wenn man gegen das Projekt ist. Das Verwaltungsgericht musste die Stadt verdonnern, mehr als ein paar Dutzend Werbeplakate der Gegner zu erlauben. Und zur Wahlbenachrichtigung kam als „Abstimmungsheft“ (mit den Argumenten der Beteiligten) eine chaotische Loseblattsammlung ins Haus geflattert. Die Stadt erklärte, die Druckerei habe geschlampt, das sei halt, so ein hoher städtischer Beamter, „scheiße gelaufen“. Dahinter wohne abschreckende Absicht, sagen andere.

Wahlberechtigt sind alle ab 16 Jahren. Damit war das Bauhaus ein beliebtes Schulthema. Nach hitzigen Pro-Contra-Diskussionen in manch voll besetzter Gymnasialaula zeigte sich: Eine weit überwiegende Mehrheit war bei Probeabstimmungen gegen das Bauhaus. Und auch die Erstwähler scheint das Thema zu nerven: Als der Förderkreis Ende November eine große „Bauhaus-Party“ veranstaltete, kamen statt der erwarteten tausend Besucher keine hundert - wohl aus Angst vor neuer Agitation.

Mehrheitlich wird ein Nein erwartet. Allerdings ist unklar, ob es für 37.000 ablehnende Stimmen reicht (20 Prozent der Wahlberechtigten). Ergebnisse gibt es ab Sonntag, etwa um 20 Uhr auf www.aachen.de.