MATERIELLE NOT IST EINE KRASSE VERLETZUNG DER MENSCHENRECHTE
: Armut ist ein Anschlag auf die Würde

Menschenrechtsverletzungen und Armut hängen oft eng zusammen. Dies wird jedoch häufig vernachlässigt – daher ist der diesjährige Menschenrechtstag am 10. Dezember dem Kampf gegen Armut gewidmet. In vielen Gesellschaften sind die untersten Schichten von dem Recht auf Bildung, Gesundheit und eine Wohnung ausgeschlossen – weil sie es sich nicht leisten können. Diese Benachteiligung wiederum hindert die Armen, am öffentlichen Leben teilzunehmen, die Politik zu beeinflussen und sich gegen Unrecht zu wehren. Armut ist nicht nur eine Frage des geringen Einkommens, sondern auch der Machtverteilung in einem Land.

Dennoch wird Armut oft nur als unabänderliches Schicksal betrachtet. Häufig herrscht die Meinung vor, die Betroffenen seien selbst schuld. Ein umfassender Menschenrechtsansatz muss nicht nur diese Vorurteile beseitigen – sondern auch die Staaten an ihre Verantwortung erinnern, ein Umfeld zu schaffen, das das Gemeinwohl fördert.

Dafür gibt es starke rechtliche Grundlagen: Alle Staaten dieser Welt haben mindestens einen der sieben grundlegenden Menschenrechtsverträge unterzeichnet, und 80 Prozent der Länder haben gar vier oder mehr dieser Verträge unterschrieben. Außerdem hat die Weltgemeinschaft die Millenniums-Entwicklungsziele verabschiedet, die auch konkrete Maßnahmen gegen Armut und Ausgrenzung enthalten. Beim Weltgipfel 2005 sind diese Vorgaben bekräftigt worden.

Im vergangenen Jahr wies Weltbankpräsident Paul Wolfowitz darauf hin, dass es „moralisch nicht zu rechtfertigen ist, wenn die reichen Länder 280 Milliarden US-Dollar – fast das gesamte Bruttoinlandsprodukt Afrikas – für die Subventionierung der eigenen Landwirtschaft ausgeben“. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat betont, dass Menschenrechte, Sicherheit und Entwicklung unabdingbar seien, damit alle Menschen in größerer Freiheit leben können. Doch ein Siebtel der Menschheit leidet an Hunger: Die Armut ist eine der größten Menschenrechtsherausforderungen unserer Zeit.LOUISE ARBOUR

Die Autorin ist UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte