BEWEGTES SPORTBILD
: Soft Skills im Kaff

FUSSBALLFILM „Das Leben ist kein Heimspiel“. Dokumentation von Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech. Mit Jochen A. Rotthaus, Torsten „Torro“ Hartl, Ingrid und Norbert Kunkel. Deutschland 2010, 91 Minuten

Konflikte in der Kurve: Altfans gegen Neufans, Badener gegen Württemberger

Man muss diesen Verein nicht mögen. Wirklich nicht. Aber spannend war’s schon, wie die TSG 1899 Hoffenheim durch die deutschen Ligen nach oben rauschte und die Fußballhierarchie auf den Kopf stellte. Großartig war das. Die einen freuten sich über den modernen Konzeptfußball. Andere, sogar die, die sich eigentlich nicht für Fußball interessierten, hatten zumindest eine Meinung zu der Frage, ob es denn nun nur das Geld war, das da so schön herausgespielte Tore schoss. Kurz: Die Sportgeschichte das Jahres 2008 war zweifellos der sagenhafte Aufstieg der TSG Hoffenheim ins Establishment des deutschen Klubfußballs.

Eine Geschichte, die sogar in fernen Ländern Schlagzeilen machte. Eine Geschichte, die der Dokumentarfilm „Das Leben ist kein Heimspiel“ nun noch einmal erzählt. Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech beginnen ihre Reportage in der Regionalliga, begleiten den Verein aus dem 3.000-Seelen-Kaff beim Durchmarsch durch die Zweite Liga und enden schließlich mit der Eröffnungsfeier der neuen Rhein-Neckar-Arena in Sinsheim im Januar 2009. Der Film ist ein historisches Dokument. Die Zeit des Aufsteigens wurde zu Jahresbeginn offiziell für beendet erklärt. Hoffenheim will sich als Ausbildungsverein neu erfinden. Zwei Protagonisten sind nicht mehr im Amt: Trainer Ralf Rangnick und Manager Jan Schindelmeiser.

Die beiden begleitet die Kamera, dazu Geschäftsführer Jochen A. Rotthaus und rückt immer wieder auch dem Financier Dietmar Hopp auf den Leib, mit dessen SAP-Millionen der Dorfklub zu einem florierenden Unternehmen geformt wird.

Die Weizenfelder, die immer wieder durchs Bild wogen, werden abgelöst von Baggern und Planierraupen, die den Boden bereiten für das 60 Millionen Euro teure Stadion. Dazu wird in Sitzungen der Marketingabteilung des Klubs eine Strategie entwickelt, um, so formuliert es Rotthaus, mit einem „Businessmodell“, mit „positiven Soft Skills“ für das ehrgeizige Projekt „Schritt für Schritt die Herzen zu erobern“. Dazu tingelt der Geschäftsführer über die badischen Dörfer, um sich bei Veranstaltungen anzuhören: „Die TSG Hoffenheim lebt nicht.“

Aber der Film, dessen Idee entstand, als Filmemacher Frank Pfeiffer 2005 einen Artikel über Hopps Hoffenheimer Pläne in der taz las, kümmert sich nicht nur um die Protagonisten des Aufstiegs. Zu Beginn hält der Mannschaftsbus auf der Fahrt zum Auswärtsspiel noch an der Tankstelle der Familie Kunkel, damit die Spieler sich mit Softdrinks und Energieriegeln eindecken können. Später sieht man Ingrid Kunkel mit einer Freundin beim Spaziergang, und sie besprechen verwundert den Hass, der dem Geldgeber in den Stadien etablierter Bundesligisten entgegenschlägt.

Diese „Traditionen gegen Millionen“-Diskussion ist nur ein Nebenaspekt im Film, der ohne jeden Kommentar aus dem Off auskommt. Den Filmemachern geht es um die Binnensicht des Vereins, die Veränderungen im Dorf, die aufkeimenden Konflikte in der Fanszene, wo plötzlich Altfans gegen Neufans stehen, Badener gegen Württemberger.

Zum Kristallisationspunkt dieser Entwicklung wird Torro. Zu Beginn ist der noch der stolze Vorsitzende des ersten und einzigen TSG-Fanclubs, später nur mehr einer von vielen, die zusehends vom Erfolg überrollt werden. In einem überraschenden Moment der Hellsichtigkeit bringt er die Entwicklung auf den Punkt: „Früher waren es die Fans und die Spieler, heute sind es die Kunden und Produkte. Die Vermarktung hält leider Einzug.“ Am Ende wird man Torro sehen, wie er mit großen Augen das fertiggestellte Stadion bestaunt: „Wahnsinn!“, sagt er und blickt in den vom Feuerwerk erleuchteten Nachthimmel.

Nein, man muss diesen Verein nicht mögen. Aber mit „Das Leben ist kein Heimspiel“ lernt man ihn ein wenig besser verstehen. Vor allem aber erfährt man, wie quasi aus dem Nichts ein Unterhaltungsbetrieb erschaffen wird. Wie die Moderne Einzug hält in einem Geschäft, in dem doch eigentlich vor allem Traditionen verkauft werden, und wie aus dem Sport ein Event wird.

THOMAS WINKLER