Verwegenes Spiel

WIEDERENTDECKUNG Die Sammlung Verbund und das Bank Austria Kunstforum zeigen in Wien eine große, lange überfällige Retrospektive von Birgit Jürgenssen und damit, dass auch große Unternehmen die Auseinandersetzung mit der Avantgarde zu ihrer Aufgabe machen können

Die unheimliche Austauschbarkeit des weiblichen mit dem Tierkörper, aber auch mit artifiziellen Objekten, spielt überhaupt eine große Rolle in ihrem Werk

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die von Frauen geschaffene Kunst der 60er und 70er Jahre wird zuletzt in vielen großen Ausstellungen, aber auch auf dem Kunstmarkt wiederentdeckt. Das darf als Zeichen gesehen werden. Denn das ist der Kunst noch immer zuzutrauen: dass sich untergründige gesellschaftliche Strömungen in ihr früher artikulieren als anderswo. Und mit den wiederentdeckten Künstlerinnen, von denen sich viele dezidiert als feministische Aktivistinnen verstanden, könnte sogar noch der zuletzt wieder einmal heftig geschmähte Feminismus alter Schule sein Revival als durchaus coole Angelegenheit erleben.

Es wäre freilich falsch zu erwarten, dass damit der Eiertanz um den Begriff Feminismus endlich aus der Welt wäre. Denn mit dem Bekenntnis zum Feminismus legt man sich für die Sache der Frau fest. Wo man sich doch am liebsten einfach davonstehlen möchte. Wo man sich doch nichts mehr wünscht, als das Thema, Frau zu sein, endlich ad acta zu legen. Diesem Wunsch steht das feministische Bekenntnis entgegen. Und gleichgültig wie cool es in unterschiedlichen Zeiten gesehen wird, auch dieses Bekenntnis ist – wie jedes andere, ob konstruktivistische oder postfeministische – letztlich ein von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft erzwungenes, sieht sich doch jede Frau noch immer mit der Forderung konfrontiert, sich jederzeit, in den unerwartetsten Situationen zu ihrem Frausein erklären zu müssen. Dass jedem Bekenntnis der schale Beigeschmack der Nötigung anhängt, erzwingt geradezu permanente Distanzierungen.

Wenig verwunderlich also, auf einer Fotografie der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen zu lesen: „Ich möchte hier raus“. Das Bild zeigt die Künstlerin, wie sie – in extrem femininer Rüschenbluse gegen Glas gepresst – dem gläsernen Gefängnis des Hausfrauendaseins zu entkommen sucht. Das Foto ist ein zentrale Arbeit im Werk von Birgit Jürgenssen (1949–2003), der das Bank Austria Kunstforum und die Sammlung Verbund jetzt in Wien eine große Retrospektive ausrichten – flankiert von den Ausstellungen „Valie Export. Zeit und Gegenzeit“ im Belvedere und „Power Up. Female Pop Art“ in der Kunsthalle.

In der inszenierten Fotografie „Ich möchte hier raus“ zeigt sich ein allzu verständliches kreatives Scheitern. Birgit Jürgenssen sagt nicht „Ich will“, sie sagt „ich möchte“ und man meint, ein „bitte gerne“ mit zu hören. Zu ihrem Unglück lag Birgit Jürgenssen, anders als der heute 70-jährigen Valie Export, der agitatorische Gestus überhaupt nicht. Valie Export ist eine international bekannte und anerkannte Künstlerin, Birgit Jürgenssen noch immer zu entdecken. Aber, das zeigt die Ausstellung in Wien nun deutlich, sie ist es wert. Denn gerade in ihrem schüchternen, dennoch hartnäckig durchgehaltenen und dabei gerne selbstironischen Aufbegehren gegen die gesellschaftliche Rollenzuweisung wie gegen die von ihr erwartete Auseinandersetzung mit dieser Rollenzuweisung ist die Künstlerin exemplarisch interessant.

Birgit Jürgenssens Werk ist bestimmt durch Verweigerung, durch die Verweigerung der große Geste und damit der großen Formate, durch die Verweigerung der eindeutigen, jederzeit wiedererkennbaren Signatur und dem dahinter stehenden großen Künstlerego. Stattdessen ist sie die Künstlerin, die im Kollektiv arbeitet und in den 80er Jahren als Mitglied der Gruppe „Die Damen“ mit Performances auftritt.

Tatsächlich ist Performance von Anfang an ein wichtiges Element ihres Werks, allerdings verweigert sie sich auch hier einem wesentlichen Aspekt der Prozesskunst: dem öffentlichen Auftritt. Für Birgit Jürgenssen liegt der Reiz der Performance vor allem in der Verschmelzung von Künstler und Werk, die auch ohne Zuschauer, im eigenen Atelier herzustellen ist. Die situationsbezogene, handlungsbetonte, ephemere Form der Performance liefert ihr die Grundlage für ihre Fotoinszenierungen und Zeichnungen, in denen sie ihre eigene, weibliche künstlerische Wahrnehmung des weiblichen Körpers gegen die männlich hegemoniale Sicht der hohen Kunst wie der Alltagskultur in Stellung bringt.

Dabei empört sie sich nicht über die Fetischisierung des weiblichen Körpers, vielmehr arbeitet sie mit Fetischobjekten und versucht auf diese Weise die Repräsentation von Weiblichkeit kritisch zu hinterfragen. Jürgenssen schmückt, maskiert und staffiert ihren Körper aus, wobei sie sich vom Vermächtnis eines Surrealismus inspirieren lässt, wie ihn etwa Meret Oppenheim vertrat. Entsprechend widmet sie auch „Ohne Titel (Selbst mit Fellchen)“ 1974/77, eine Fotografie, auf der ihr Gesicht mit einem Fuchskopf animalisch korrigiert, „Meret Oppenheim in Verehrung“. Die unheimliche Austauschbarkeit des weiblichen mit dem Tierkörper, aber auch mit artifiziellen Objekten spielt überhaupt eine große Rolle in ihrem Werk. Eine Maus etwa, die der Frau in einer Zeichnung aus dem Oberarm entwächst, definiert dann deren nicht definierten Bizeps, oder ein Vogelnest mit zwei Eiern, das im Schoß der Künstlerin liegt, markiert/mokiert (sich über) das Geschlechtsteil, das den Mann grundsätzlich für alle herausragenden Aufgaben dieser Welt quotiert. Als Maurizio Cattelan, ein solcher Quoten-, mithin also Starkünstler, vor kurzem ausgerechnet dieses Bild als seine Erfindung ausgab (taz vom 15. 7. 2010), sah er wohl nur das potente „Nest“, 1979, nicht aber den gleichzeitig brütenden Schoß. „Bad Boys und Platzmatronen“, notierte Jürgenssen in eines ihrer Notizhefte. Ein hübscher Kommentar zu Cattelans Weltsicht.

Nur Platzmatronen gelingen solche banalen Fotografien, die den eigenen nackten Rücken zeigen, auf dem mit Lippenstift „Jeder hat seine eigene Ansicht“ geschrieben steht. Wer wüsste es noch nicht: Kultur wird in den Körper eingeschrieben. Aber wer weiß schon, dass man diesem Gewaltverhältnis, gerade indem man ihm unterliegt, auch schon wieder den Rücken kehren kann? Es stellt sich in der Wiener Ausstellung immer wieder ganz deutlich heraus, dass ihre hohe Sensibilität für unsere missverständlichen Sprachspiele es Birgit Jürgenssen erlaubt, ein verwegenes Spiel der Antagonismen zu spielen. Es ist ein neurotisches Spiel, indem es Dinge behauptet, die sich gegenseitig ausschließen. Jeder hat seine eigene Ansicht, nur derjenigen, die das behauptet, ist ihre eigene Ansicht gerade nicht zugänglich. Es sei denn, sie spiegelte sich narzisstisch wider und wieder.

Neurotisch aber und narzisstisch ist bekanntlich die Hausfrau, der Birgit Jürgenssen schon ganz früh in ihrer Karriere, Anfang der 1970er Jahre, einen Zyklus von Zeichnungen gewidmet hat, deren Grundidee in der Frage wurzelt, inwiefern die eigene Identität heute nicht mehr durch das „Wer bin ich?, sondern vielmehr Wo bin ich?“ definiert wird, wie Jürgenssen in einem Brief schreibt. In höchst ironischer, weil so brav und sauber gezeichneter Manier entsteht in diesen Blättern die geschlechtsspezifische Hausfrauen-Identität durch den Raum, der der Frau zugewiesen wird, den sie sich aber auch selbst schafft. In diesem Zusammenhang ist dann das „Nest“ noch einmal neu zu interpretieren. Denn mit ihm wendet sich Jürgenssen, wie Heike Eipeldauer in ihrem Beitrag im durchweg anregenden, lesenswerten Katalog schreibt, an „alle ‚Nesthocker‘, denen angesichts der Konfrontation sämtlicher der Frau auferlegter Pflichten und Rollenzuschreibungen – als Hausfrau und Behauste, Gebärende und Mutter, Kochende und Ernährende sowie ‚kulinarisiertes‘ Sexualobjekt – nur die Flucht bleibt“.

Ausgerechnet im paradigmatischen „Ich möchte hier raus“ läuft nun Birgit Jürgenssen mit der für ihr Werk „typischen multiplen Bedeutungsinversion“ (Eipeldauer) auf Grund. Sie führt das Rollenspiel zu eng, die Künstlerin ist zu sehr die Hausfrau, die nur rausmöchte, wo Erstere rauswollen muss. Aus dem privaten Bereich des Ateliers in die Öffentlichkeit und aus der Rolle des Artist’s Artist in die der international geschätzten Künstlerin.

Dies zu bewerkstelligen ist nun, nach dem vorzeitigen Tod der Künstlerin 2003, Gabriele Schor angetreten, die Leiterin der Kunstsammlung des Energieversorgers Verbund, die 2004 begann Werke von Birgit Jürgenssen für das eigene Haus anzukaufen. Mittlerweile besitzt die Privatsammlung einen Korpus von über 50 Arbeiten der Künstlerin, der in einer wissenschaftlichen Monografie aufgearbeitet wurde. Der Verbund übernimmt damit, wie Ingried Brugger sagt, die als Direktorin des Bank Austria Kunstforum den Ausstellungsort zur Verfügung stellte, eine Aufgabe, die die öffentlichen Museen mangels Geld und Personal nicht leisten. Der Verbund betreibt sein Engagement mit großer Verve und hat für die Ausstellung nicht nur alle wichtige Teile des Gesamtwerks, sondern darüber hinaus eine große Zahl bislang nicht öffentlich präsentierter Arbeiten zusammengetragen. Ein gewichtiger Katalog, in dem namhafte KunsthistorikerInnen dem ganzen Facettenreichtum ihres Werks nachspüren, ergänzt jetzt die Monografie zu Birgit Jürgenssen.

■ Bis 6. März, Bank Austria Kunstforum, Wien, Katalog (Prestel), 29 €; bis 30. Januar: „Valie Export“, Belvedere Wien, Katalog 38 €; bis 6. März: „Power Up. Female Pop Art“, Kunsthalle Wien, Katalog (Dumont) 29,99 €