Verwüstung beginnt in der Stadt


TEMA-Vorstand Önel: „Ein Ticket fürs Paradies ist nur über eine Spende für die Umwelt zu haben“

AUS KÖLN HENK RAIJER

Türkische Migranten als Vorreiter in Sachen Umweltschutz? Gängige Klischees vom Laisser-Faire-Bewusstsein der Zugewanderten aus dem Mittelmeerraum lassen ein solches Bild kaum zu. Eine typische Fehleinschätzung, findet Rahükal Turgut, Projektkoordinatorin bei der TEMA-Stiftung für den Naturschutz. Die Kölner Organisation ist seit ihrer Gründung 1998 in der internationalen Zusammenarbeit beim Naturschutz engagiert und zieht gegen Bodenerosion zu Felde. Gerade die erste Generation der Einwanderer aus der Türkei sei „unbewusst umweltbewusst“, sagt Turgut (32), die selbst in Wesel geboren wurde. „Viele sind aus kargen, ländlichen Gegenden hierher gezogen“, sagt die Anglistin und gelernte Marketingreferentin. „Verschwendung, wie sie die Industriegesellschaft kennzeichnet, kannten diese Leute nicht, ein schonender Umgang mit Ressourcen wie Wasser ist daher für sie heute noch selbstverständlich.“ Auch bei den Jüngeren sei ein Bewusstsein für die Umwelt durchaus vorhanden. Es mangele nur an detaillierten Kenntnissen, wie der Einzelne nachhaltig handeln könne.

Die Kölner Stiftung ist ein Ableger der 1992 in der Türkei von Geschäftsleuten und Naturfreunden gegründeten Organisation TEMA (Stiftung für die Bekämpfung von Bodenerosion, für Aufforstung und Naturschutz), eine NGO, die heute knapp 280.000 Mitglieder zählt. Ursprünglich gegründet, um ähnlich wie die große Schwester in der Türkei die türkische Community in Deutschland über die Gefahren der fortschreitenden Wüstenbildung in der Heimat aufzuklären und zur Beteiligung an Aufforstungsaktionen zu animieren, widmet sich TEMA inzwischen auch der Umwelterziehung an Schulen in Köln und NRW. „Wir wollen die Türken in deutschen Städten umweltbewusster machen und konzentrieren uns daher bei unserer Bildungsarbeit auf Kinder und Jugendliche“, betont Stiftungsvorsitzender Hayati Önel. Der Endvierziger, der seinen Eltern 1971 nach Köln folgte und dort seit 24 Jahren einen Schulbuchverlag führt, geht davon aus, dass TEMA über diesen Zugang auch die Eltern erreicht und so gleichzeitig deren Integration befördert.

Zunächst einmal jedoch packt die TEMA-Stiftung in der Hauptsache diejenigen der 2,7 Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland bei ihrem Umweltgewissen, die in den Sommerferien die alte Heimat besuchen und mitbekommen, was Abholzung, Brandrodung und Überweidung dort anrichten. Mehr als 80.000 Bäumchen hat TEMA inzwischen mit Hilfe von Spenden türkischstämmiger Unternehmer in der Türkei pflanzen können – die letzten 10.000 im vergangenen Oktober unter Teilnahme und Schirmherrschaft von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) in Izmir. Darüber hinaus hat die Stiftung in den letzten Jahren insgesamt 70 Schülern aus Deutschland den Aufenthalt in einem internationalen Sommercamp im türkischen Bolu finanziert, das sich als Ziel gesetzt hat, Jugendlichen neben dem kulturellen Austausch praktische und theoretische Kenntnisse der Natur zu vermitteln.

Inzwischen hat die TEMA-Stiftung einen Strategiewechsel vollzogen hin zu mehr Dauerengagement auch im Einwanderungsland. Dabei sieht Hayati Önel, der ebenfalls Vorsitzender des türkisch-deutschen Unternehmerverbandes und im Vorstand der Kölner Industrie- und Handelskammer ist, die TEMA-Stiftung keinesfalls als einsamen Rufer in der Wüste. „Wir wollen zwar primär an die Türken ran, möchten aber darüber hinaus auch als deutsche Stiftung wahrgenommen werden, die gemeinsam mit Organisationen wie BUND oder NABU Aktionen macht“, sagt Önel, der in der Domstadt schon mal als „Wirtschaftsbotschafter der Stadt Köln“ bezeichnet wird. Letztlich möchten er und sein Team erreichen, dass sich Türken auch in deutschen Verbänden für die Umwelt engagieren, die hier seit langem eine professionelle Arbeit machen.

„Die Mitglieder von TEMA meinen es ernst“, sagt Christine Zechner, Vorstandsmitglied der BUND-Kreisgruppe Köln, über den deutsch-türkischen Partnerverband. „Die Stiftung ist mit ihren Aufforstungsprogrammen vor allem in der Türkei sehr erfolgreich und wegen dieses Engagements allseits anerkannt.“ Von daher begrüße sie, dass sich die Organisation nun auch verstärkt der türkischen Community hierzulande zuwendet. Und gleichzeitig Kooperationen etwa mit dem BUND sucht. „Auch wenn TEMA, anders als der BUND, keinesfalls industriekritisch eingestellt ist“, so Zechner.

Wäre dies der Fall, bisse der TEMA-Vorstand ja auch die Hand ab, die ihn füttert. Zwar zahlen die gut 500 Mitglieder der Umweltstiftung je 30 Euro Mitgliedsbeitrag im Jahr, Schüler und Studenten die Hälfte. Getragen jedoch wird die Stiftung durch die Spenden von etwa 30 türkischstämmigen Unternehmern. „Mit Riesensummen können wir zwar nicht rechnen, trotzdem brauchen wir uns um den Fortbestand unserer Organisation keine Sorgen zu machen“, umschreibt Vorsitzender Hayati Önel die aktuelle Finanzlage. Zwar sei ihm bewusst, dass nicht wenige seiner Sponsoren durch ihr Gewerbe zur Umweltzerstörung beitragen. Aber lieber als ihnen ihren Frevel unter die Nase zu reiben, „mache ich den Industriellen klar, dass die Verschwendung von Ressourcen eine Sünde und ein Ticket fürs Paradies nur über eine Spende für die Umwelt zu haben ist“, sagt Önel und schmunzelt dabei. „In der Türkei klappt das ganz gut.“

Rahükal Turgut ist bei TEMA für die Umwelterziehung zuständig. Die Projektkoordinatorin wird immer häufiger zu Vorträgen an Rhein und Ruhr eingeladen, in der Regel an Schulen mit einem hohem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. „Hier nutzen wir unsere besondere Kompetenz und unsere Kanäle, um auf Probleme und konkrete Aktionsmöglichkeiten hinzuweisen“, erklärt Turgut. „Wir kennen die türkischen Kommunikationsmuster besser als unsere deutschen Partner.“ Ihre Veranstaltungen indes fänden ausnahmslos in deutscher Sprache statt. Deutsch sei auch „Amtssprache“ bei ihrer Korrespondenz. Für Turgut ist das unerlässlich im Bemühen um den interkulturellen Austausch. Doch handelt es sich zweifellos auch um ein Signal an deutsche Unternehmer, die bislang noch nicht erkennen wollen, welch große Sünder sie sind.

Für den nächsten Frühling hat die TEMA-Stiftung zusammen mit der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet und dem Integrationsbüro der Stadt Duisburg eine Reihe von Exkursionen durch rheinnahe Naturschutzgebiete geplant – „eine Schnupperaktion für beide Seiten“, erläutert Rahükal Turgut. Mit einer persönlichen Ansprache und überschaubaren Aktionen erreiche die Organisation auch die älteren Türken, sagt die Projektkoordinatorin. Nach einem ihrer Vorträge hätten Senioren in der Kölner Trabantenstadt Chorweiler spontan Vorschläge gemacht, wie sie durch persönlichen Einsatz ihren vernachlässigten Kiez aufhübschen könnten. „Die wollten gleich loslegen“, so Turgut.

Das Hauptaugenmerk der Stiftung gilt jedoch den türkischstämmigen Jugendlichen. Im Oktober vergangenen Jahres etwa haben deutsche und türkische Berufsschüler in Zusammenarbeit mit der TEMA-Stiftung und dem BUND Köln einen kleinen Park in der Kölner Südstadt von Müll befreit und dort Bäumchen gepflanzt. Was bis dahin eine Schmuddelecke war, gilt Veranstaltern und Schülern heute als „kleine Klimaoase“.