„Ein übler Pseudoskandal“

„Focus“ lässt Verheugen-FKK-Bilder immer noch prüfen. „Bild“ bleibt dran. Entdeckt der Boulevard die EU-Politik?

taz: Herr Kopper, mit den angeblich existierenden FKK-Fotos von EU-Kommissar Günter Verheugen und seiner Kabinettsleiterin ist die ungeliebte EU endgültig im Boulevard angekommen. Ein Fortschritt?

Gerd Kopper: Zyniker könnten das so sehen. Ich halte es für eine weitere Grenzüberschreitung. Was jetzt in Deutschland einsetzt, versucht die britische Boulevardpresse mit zunehmender Intensität seit Jahren. Privatbilder aus Intimbereichen werden hochpreisig gehandelt und dann veröffentlicht.

Um die Person zu diskreditieren oder um die Institution EU in den Schmutz zu ziehen?

Im Fall von Verheugen handelt es sich um eine Pseudoskandalisierung, die allenfalls zwei Dinge deutlich gemacht hat: Erstens verfolgt ein Teil der Beamtenschaft seine eigenen Karriereinteressen. Die Besetzung der Kabinettsleitung lief ja ohne Berücksichtigung einer Ausschreibung. Zweitens agiert Verheugen in seinem Bereich nicht sonderlich erfolgreich.

Was Boulevardmedien ohne Nacktbilder nicht interessiert.

Nur wenn sie eine Chance wittern, endlich wieder einen „Abschuss“ zu landen. Tontaubenschießen gehört zu ihrem Geschäft.

Es geht also nicht um die EU?

Deutsche Medien würden diese Tontaube nicht abschießen wollen, wenn es sich um einen französischen Kommissar handelte. Das wäre uninteressant. Und Verheugen eignet sich aufgrund seines etwas biedermännischen Images prächtig für eine Geschichte dieser Art. Jetzt führt man seine „etwas flottere“ Lebensweise vor.

Profitiert er am Ende davon?

Wenn Verheugen den vermeintlichen Skandal durchsteht, dieser also keine politischen Folgen hat, profitiert er. Ganz nach dem klassischen Motto: Was mich nicht umhaut, macht mich stark.

Ist das ein Vorgeschmack auf künftige EU-Nachrichten?

Wirklich beunruhigend finde ich die Entstehung dieses vermeintlichen Skandals: Jene Nacktbilder, die angeblich vorliegen, gehören zu jener Sorte von Fotos, die auf einer Linie liegen mit den Leser-Reporter-Kampagnen. Professionelle Medien reichen dieses private Material nun weiter.

Immerhin verzichten Focus und Bild nun doch auf die Verheugen-Bilder.

Genau darin besteht doch der obwaltende Zynismus. Focus und Bild haben den absurdesten Blödsinn veranstaltet. Ihnen ist sehr bewusst, dass sich derjenige, der Bilder dieser Art veröffentlicht, selbst lächerlich macht. Deshalb hält man die Veröffentlichung in der Schwebe – eine ganz üble Form von Journalismus. Sie geht an den Rand dessen, was man im 19. Jahrhundert Revolverjournalismus nannte: Medien versuchen, in Form von Nötigung und Drohungen, etwas in Gang zu setzen.

INTERVIEW SUSANNE LANG

Gerd Kopper, 65, Professor am Institut für Journalistik in Dortmund, leitet ein europäisches Forschungsprojekt zu den Informationsbedingungen in Europa