VW-Gesetz vor Gericht

Der Europäische Gerichtshof verhandelt ab heute über den politischen Einfluss bei Europas größtem Autokonzern

HANNOVER taz ■ Der Konflikt zwischen der EU-Kommission und der Bundesregierung um das nun schon 46 Jahre alte VW-Gesetz erreicht heute einen neuen Höhepunkt: In dem Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission vor dreieinhalb Jahren gegen Deutschland eingeleitet hat, beginnt die mündliche Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Beide Parteien können dem Gerichtshof nun öffentlich ihre Argumente vortragen. Die Richter werden voraussichtlich Mitte kommenden Jahres ihr Urteil über die Vereinbarkeit des einst bei der Privatisierung der Volkswagenwerk Gesellschaft beschlossenen Gesetzes mit dem heutigen europäischen Wettbewerbsrecht fällen.

Die EU-Kommission hatte das Verfahren gegen die Bundesrepublik im März 2003 nach längeren internen Debatten eröffnet. Sie sah und sieht die Freiheit des Kapitalverkehrs und die Niederlassungsfreiheit gefährdet. Dabei stört sie sich vor allem an den Bestimmungen, die bei der Privatisierung von VW eine breite Streuung der Volkswagenaktien garantieren sollten: Einst von den Nationalsozialisten als Unternehmen der deutschen Arbeitsfront gegründet, stand das Wolfsburger Volkswagenwerk nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unter der Kontrolle der britischen Besatzungsmacht, des Bundes und des Landes Niedersachsen. Das VW-Gesetz diente der endgültigen Klärung der Eigentumsverhältnisse wie auch der Privatisierung durch die Ausgabe seinerzeit „Volksaktien“.

Die breite Streuung des Aktienkapitals sollte auch durch die Stimmrechtsbegrenzung garantiert werden, die die EU-Kommission nun vor allem moniert – nach dem VW-Gesetz kann kein Einzelaktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben, auch wenn er mehr als 20 Prozent der Aktien besitzt. Für Beschlüsse, für die man auf anderen Hauptversammlungen eine Dreiviertelmehrheit braucht, ist bei VW eine Mehrheit von über 80 Prozent nötig. Außerdem können das Land und der Bund jeweils zwei Vertreter in den Aufsichtsrat schicken, solange sie VW-Aktien halten.

Von staatlicher Seite ist allerdings seit langem nur noch Niedersachsen an dem Konzern beteiligt. Über Jahrzehnte hin bestimmte das Land als größter Einzelaktionär mit einem Kapitalanteil von gut 18 Prozent den Kurs bei Europas größtem Autobauer. Es hatte wenig Interesse an hohen Dividenden, dafür umso mehr am Erhalt der Arbeitsplätze in Niedersachsen und an einem weltweiten Wachstum.

Nach dem Einstieg von Porsche hat Niedersachsen seinen Anteil auf nun 20,76 Prozent aufgestockt. Mit der Kapitalkraft des Sportwagenherstellers kann das Land aber nicht mithalten: Über 27 Prozent der stimmberechtigten VW-Aktien nennt Porsche nun schon sein Eigen, insgesamt 29,9 Prozent sollen es bald werden. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking will in dem Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof gegen die Stimmrechtsbegrenzung bei VW argumentieren. Schließlich kann er eine ordentliche Wertsteigerung seiner VW-Aktien erwarten, wenn die Begrenzung fällt. JÜRGEN VOGES