Die Verpackungskünstler von Ipanema

WELTKULTUR Im Brasilien der Sechziger war Bossa Nova eine Revolution. Vom Design der Plattencover konnte man das nicht immer behaupten. Jetzt lässt sich die Hochphase der Musik aus Rio erneut besichtigen

Besungen werden ja eher die Girls von Ipanema, des Ortes also, dem der Bossa Nova seinen Flair einhauchte. Aus dem Songtext: „Tall and tan and young and lovely / The girl from Ipanema goes walking / And when she passes, I smile – but she doesn’t see“. Na ja, vielleicht schauen diese Boys von Ipanema wenigstens zurück. Neben den Badehosen bitte auch die Kettchen beachten! Foto: Heeb/laif

VON DETLEF DIEDERICHSEN

Ein schönes Land, dieses Brasilien. Und ein Land des guten Aussehens. Man möchte meinen, halb Rio de Janeiro sei in den Morgenstunden auf den großzügigen ausgewiesenen Joggingpfaden am Strand unterwegs, um den Körper in Form zu halten. Weiterführende Wünsche erfüllen gern die Heerscharen von Schönheitschirurgen, die das Land zu einem touristischen Hotspot der plastischen Chirurgie werden ließen.

Das Land selbst sieht natürlich auch großartig aus. Unfasslich, wie sich etwa die Hügel Rios dem Meer entwinden. Wo die Natur aufhört, beginnt die Architektur. An visionären Baumeistern und kühnen Stadtplanern hat das Land wahrscheinlich die höchste Dichte des Globus. Und dieser Geist schwappt auch über in andere Künste: Wo in Großbritannien etwa die Kunstschulen die Popszene des Landes ausbrüten, besuchte in Brasilien ein Gutteil der bedeutenden Musiker des Landes Architekturfakultäten.

Wie kommt es, dass dieses Land so wenig Wert auf gutes Aussehen in den klassischen Disziplinen des Kommunikationsdesigns legt? Auch wenn in den vergangenen Jahren, vor allem angeregt durch Erfolge in der klassischen Werbung, die Dinge ein wenig in Bewegung gekommen sind: In Sachen Verpackungsgestaltung, Mode, Medien ist Brasilien (von ein paar Stadtvierteln in São Paulo abgesehen) im besten Fall ein Schwellenland. Selbst in den meisten urbanen Zentren muss man lange nach interessanten Designläden suchen, die Zeitschriften im Kiosk schlummern im Look der Neunzigerjahre, und die Cover von LPs und CDs, selbst wenn es um international bedeutende Künstler wie Gilberto Gil, Caetano Veloso oder Jorge Ben ging, sahen fast immer jämmerlich amateurhaft, provinziell und uncool aus.

Wenn nun also ein Hipsterladen wie das Londoner Label und (mittlerweile) Verlagshaus Soul Jazz mit einem Buch (im LP-Format) herauskommt, das vor allem das Design von brasilianischen Plattencovern präsentiert und feiert – was hat man da zu erwarten? Zwei Dinge bringt der von Star-DJ Gilles Peterson und Soul-Jazz-Chef Stuart Baker kompilierte Band „Bossa Nova and the Rise of Brazilian Music in the 1960’s“: die Ausnahmen, die die Regel bestätigen, und jede Menge Retroromantik.

Die Ausnahmen verdankt Brasilien vor allem dem Dreamteam Cesar G. Villela (Designer) und Francisco „Chico“ Pereira (Fotograf), das in den Fünfziger- und Sechzigerjahren hunderte von Plattenhüllen für Odeon, Philips und Elenco produzierte, und es war kein Zufall, dass der jeweils verantwortliche Geschäftsführer Aloysio de Oliveira hieß. Oliveira erkannte als Erster, dass dieses neue Ding, das da einige Verrückte in den Nachtclubs von Rio ausprobierten, womöglich kommerzielles Potenzial haben würde, und traute sich, die Musik von João Gilberto, Antonio Carlos Jobim und Luiz Bonfá etwa auf Platte zu veröffentlichen.

Reduzierte Coolness

Und er setzte darauf, dass an der Verpackung zu erkennen sein muss, dass hier etwas anderes drin ist als Samba, Choro, Easy Listening oder Bolero. Also verpflichtete er Villela, einen ambitionierten Grafikdesigner, der Ansprüche stellte: gute Bezahlung und Zusammenarbeit mit Fotografen seiner Wahl, meistens Pereira. Dafür erhielt Oliveira, was er wollte: ein Coverdesign, das der reduzierten Coolness, der Modernität und dem Swing der Musik entsprach.

In dem Buch finden sich natürlich die klassischen Beispiele: João Gilbertos „O amor, o sorriso e a flor“, „Se acaso você chegasse“ von Elza Soares oder Walter Wanderleys „O sucesso é samba“, vor allem aber die Cover des unabhängigen Elenco-Labels, das Oliveira 1962 an den Start brachte und für das Villela eine Wildcard erhielt. Hier gelang es ihm, einen durchgängig auf Schwarz, Weiß und Rot reduzierten Designkosmos zu schaffen, der tatsächlich dem Geist der Musik extrem nahe war und der bis heute das Erscheinungsbild von Bossa-Nova-Produkten prägt (inklusive des besprochenen Buchs).

Laut dem anonymen Autor der Texte in dem Soul-Jazz-Werk entsprang die Arbeit von Villela/ Pereira demselben modernistischen Geist wie „Oscar Niemeyers Stahlbetonästhetik in der Architektur, dem radikalen Cinema Novo von Glauber Rocha, Augusto Boals Theater der Unterdrückten und, natürlich, der Bossa Nova von Gilberto, Jobim, Vinicus und den anderen.“ Das ist kulturhistorisch nicht ganz präzise, und daran krankt das ganze Projekt – ein wenig.

Das fängt schon beim Titel an: Die Geburtsstunde der Bossa Nova wird gemeinhin auf den Mai 1958 datiert, als Elizete Cardosos Album „Canção do amor demais“ veröffentlicht wurde, auf dem sie Songs von Antonio Carlos Jobim und Vinícius de Moraes aufnahm, unterstützt von João Gilberto an der Gitarre. Spätestens aber 1959 ist Bossa Nova voll da, mit João Gilbertos „Chega de saudade“, Silvia Telles’ „Amor de gente moça“ und Carlos Lyras „Bossa Nova“.

Sicher haben Gilberto Gils „Louvação“, die Frühwerke von Joyce oder Jorge Bens namenloses Album von 1969 nicht nur musikalisch, sondern auch vom Design her hier nichts zu suchen. Mit dem Militärputsch von 1964 begann in Brasilien eine neue Zeit, die erfüllt war von einem neuen Geist, der mit den Mitteln der Bossa Nova nicht mehr wiederzugeben war. Einige Bossistas politisierten sich, andere reproduzierten die alte Formel, was plötzlich leer und verlogen klang. Die neuen Songwriter wie Chico Buarque und Edu Lobo, erst recht aber die Tropicalisten um Gilberto Gil und Caetano Veloso provozierten vor allem Letztere gern und erfolgreich mit ihren Hippie-Outfits, ihren verzerrten Gitarren und politisch-realistischen Inhalten.

Wir haben hier also eher ein Buch mit Plattencovern aus dem Brasilien der Sechzigerjahre, das unter dem in diesem Fall irreführenden Etikett Bossa Nova den Wandel in dieser Zeit zeigt. Allerdings wird der Betrachter mit den Dokumenten so ziemlich alleingelassen. Hier herrscht der Blick des geilen Plattensammlers.

2005 veröffentlichte der Bossa-Zeitzeuge und -Sammler Caetano Rodrigues zusammen mit dem Bossa-Fan und Schlagzeuger der erfolgreichen brasilianischen Rockband Os Titãs, Charles Gavin, unterstützt vom staatlichen Ölkonzern Petrobras, leider in limitierter Auflage das Buch „Bossa Nova e outras bossas – a arte e o design das capas dos LPs“ – ebenfalls im LP-Format. Es ist mittlerweile vergriffen, und wer nicht das Glück hat, eines der 1.500 Exemplare zu besitzen, ist mit dem Soul-Jazz-Verwandten gut bedient. Aber das Vorbild war nicht nur früher, dicker, präziser und vom Bossa-Papst Ruy Castro kenntnisreicher kommentiert, sondern auch viel besser gedruckt. Es bleibt das Referenzwerk.

Das gilt auch für die begleitende CD: Als 2006 sein Bossa-Nova-Buch „Chega de Saudade“ auf Deutsch veröffentlicht wurde, stellte Castro eine Bossa-Compilation zusammen, die ein viel präziseres Bild des Genres liefert als die schöne, aber unhistorische Doppel-CD, die die Soul-Jazz-Veröffentlichung begleitet. Hier tauchen etliche Schlüsselfiguren (etwa Marcos Valle, Carlos Lyra, Silvia Telles) überhaupt nicht auf, dafür einige andere, die nicht wirklich etwas mit Bossa Nova zu tun haben (Milton Nascimento, Gilberto Gil, Geraldo Vandre).

Surferboy der Rio-Szene

Gerade Marcos Valles Abwesenheit ist rätselhaft, ist er doch der aktivste der noch verbliebenen Bossa-Heroen und gerade in der britischen Soul-Jazz-Heimat auch live eine feste Größe. Soeben hat er für sein Londoner Label FarOut ein weiteres Album produziert, „Estática“, und bei aller Freude über die Vitalität und Kreativität des nun auch schon auf die Siebzig zugehenden einstigen Surferboy der Rio-Szene: FarOut ist nicht das richtige Label für ihn. Dort ist man zu retro-besoffen und kann es nicht lassen, immer wieder Originalsounds seiner alten Alben nachzubauen.

Dennoch gelingen diesem älteren Jungen von Ipanema noch immer einige originelle Grooves und Kompositionen, die sich elegant und souverän die passenden Ingredienzien aus dem reichen harmonischen Fundus Brasiliens heraussuchen, etwa das zusammen mit Joyce komponierte „Papo de maluco“ oder „Esphera“, eine Kollaboration mit dem Gitarristen Marcelo Camelo.

Dieser Musik hört man das Alter ihres Interpreten zwar nicht an, dennoch wünschte man sich, er würde noch mal zu größeren Abenteuern motiviert und hingeführt – viel mehr als der kauzige Tropicalist Tom Zé etwa dürfte Valle aus einer Zusammenarbeit mit Chicagos Postfusionisten Tortoise herausholen.

Gilles Peterson/Stuart Baker: „Bossa Nova and the Rise of Brazilian Music in the 1960’s“, Soul Jazz Books, London 2010; die Begleit-CD ist erschienen bei Soul Jazz ■ Marcos Valle: „Estática“ (FarOut Recordings)