Mehr Zeit zum Lernen

Die Schüler der Max-Brauer-Schule lernen seit Neuestem ohne Zensuren und 45-Minuten-Takt. Das neue Konzept wurde belohnt: Die Schule zählt zu den Gewinnern des Deutschen Schulpreises

VON LISA THORMÄHLEN

Dem Schülerstuhl sind Flügel gewachsen. Zumindest auf dem Pokal, der gestern durch alle Klassen der Hamburger Max-Brauer-Schule gewandert ist. Die Altonaer Gesamtschule zählt zu den Gewinnern des ersten Deutschen Schulpreises. Der davonfliegende Stuhl hat Symbolkraft: Die Schüler arbeiten hier auch mal auf dem Fußboden. Fächer und Zensuren hat die Schule in einigen Jahrgängen abgeschafft.

„Die Neue Max-Brauer-Schule“ heißt das ehrgeizige Projekt, mit dem die Schule den Unterricht in den fünften und sechsten Klassen neu konzipiert hat. „Wir wollen anders mit der Zeit in der Schule umgehen“, sagt Schulleiterin Barbara Riekmann. Die Schüler lernen in einem System aus drei Säulen. Im „Lernbüro“ arbeiten sie in elf Stunden pro Woche mit individuellen Lernplänen an den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Mit einem „Kompetenzraster“ können Lehrer und Schüler überprüfen, wie sie vorankommen. Zwölf Stunden pro Woche sind dem fächerübergreifenden Lernen gewidmet. Oft geschieht dies außerhalb der Schule, zum Beispiel beim „Fahren mit dem HVV“. Acht Stunden in der Woche nehmen die Kinder je nach Interesse an Sport-, Kunst- oder Musikprojekten teil.

„Früher stand uns immer der 45-Minuten-Takt des Unterrichts im Weg“, sagt Barbara Riekmann. Seit einem Jahr ändert sich das. Der Unterricht ist dem individuellen Lerntempo der Schüler angepasst. Die Kinder sind selbst dafür verantwortlich, dass sie die angestrebten Ziele erreichen. „Wir haben eine dichtere Lernatmosphäre als früher“, sagt Stufenleiterin Regine Bondick, „die Schüler nehmen Störungen nicht mehr so stark war. Wenn ich jetzt durch die Klasse gehe, merken sie das gar nicht. Früher waren sie abgelenkt.“

Zensuren würden in dieses Konzept nicht hineinpassen, sagt Riekmann. Stattdessen führen die Lehrer drei Gespräche mit Schülern und Eltern pro Schuljahr. Vor den Sommerferien gibt es ausführliche Berichtszeugnisse. „Das ist viel Arbeit“, sagt Lehrer Detlef Hannemann, „aber der Unterricht selbst ist dafür einfacher geworden.“

Damit die Schüler immer einen kompetenten Ansprechpartner haben, findet der Unterricht in einem „Tandemmodell“ statt: Jeweils zwei Klassen einer Jahrgangsstufe haben den gleichen Stundenplan und liegen einander gegenüber. Die Lehrer ergänzen sich in den Lernbüro-Phasen mit ihrem Fachwissen.

Die „Neue Max-Brauer-Schule“ soll in den nächsten Jahren auch in die höheren Jahrgänge hineinwachsen. Möglich wurde der Umbruch, weil die Schule an dem Versuch „Selbstverantwortete Schule“ der Bildungsbehörde teilnimmt. „Wir dürfen von den üblichen Auflagen abweichen“, sagt Riekmann. So schreiben sie kaum Klassenarbeiten und müssen die Schüler nicht nach Leistung in Kurse einteilen.

Verlässliche Zahlen, die die Entwicklung der Schule belegen, gibt es noch nicht. „Vom persönlichen Eindruck der Lehrkräfte her, ist der Unterricht jedoch entspannender geworden“, sagt Schulleiterin Riekmann.

Mehr als vier Jahre hat ein zehnköpfiges Lehrerteam für die Umsetzung ihres Ziels gekämpft. Am Montag ist die Schule dafür mit einem Preisgeld von 10.000 Euro belohnt worden.