WIEDER MAL HINTERS LICHT GEFÜHRT
: Neue Fixierung auf Autorität

Bestellen und versenden

VON ARAM LINTZEL

In einem kuriosen WAMS-Interview erinnerte sich die Kohl-Ehefrau Maike Kohl-Richter neulich daran, wie toll sie es 1982 fand, dass mit Helmut Kohl endlich mal wieder jemand das Land führen wollte: „Darüber gab es ja eine irre Debatte, was das heißen soll. Ob ein Politiker sich anmaßen darf, geistig zu führen.“

Auch sonst ist in diesen Tagen viel von „Führung“ die Rede, und das nicht nur nostalgisch. Soll Deutschland Europa führen oder nicht? Fehlt es dem DFB an Führung? Ausgerechnet Finanzminister Wolfgang Schäuble, der vor nicht allzu langer Zeit seinen Pressesprecher öffentlich zur Schnecke machte (dokumentiert auf YouTube), darf in der aktuellen Cicero-Ausgabe mit Daniel Barenboim über die „Kunst des Führens“ plaudern.

„Führung brauchen Sie immer“, sagt Schäuble, man müsse „sich die richtige Mischung aus Mut und Demut bewahren.“ Womöglich hat er sich versprochen und wollte sagen: „die richtige Mischung aus Mut und Demütigung“?

Das Titelthema des Cicero ist dem Abschied der Rockväter gewidmet („Wie es mit dem Sound einer Generation weitergeht, wenn seine Väter weg sind“). Selbst in avancierteren Gefilden des Kulturbetriebs scheint man mit Führungslosigkeit ein Problem zu haben. In der Sommerausgabe des Lifestyle-Magazins 032C geht es um „Creative Leadership“. Die als Gastredaktion eingeladene New Yorker Kunst- und Theorieagentur K-Hole, die schon das Buzzword „Normcore“ in die Welt setzte, wirft darin großsprecherisch mit Begriffen wie „Genie“ und „Aura“ um sich. Kollaboration sei eine Lüge, es brauche immer einen, der die Kontrolle hat. Haben Schwarmintelligenz und Netzwerkkreativität also abgedankt? Steht der Networking-Kultur ein Geniekult-Update ins Haus?

Die Naivität, mit der Floriane de Saint Pierre, Headhunterin in der Fashionindustrie und angeblich Erfinderin des „Creative Leadership“-Konzepts im 032C-Interview „Instinkt“ und „Intuition“ der kreativen Führer beschwört, lässt dies befürchten. Das meiste, was sie sagt, klingt allerdings wie die vorgefertigten Weisheiten aus einem Managerseminar – Aufgabe des Creative Leader sei es etwa, etablierte Regeln zu überschreiten.

Dabei ist klar, dass jeder Regelbruch wiederum Regeln folgt. In dem Leadership-Seminar, in das ich selbst einmal semi-freiwillig geriet, war denn auch ständig von der „Komfortzone“ die Rede, die man verlassen müsse. Wo echte Führung ist, muss es ungemütlich sein.

Womöglich handelt es sich beim „Creative Leadership“ lediglich um eine post-politische Schwundform der alten revolutionären Fantasie, dass die Poesie an die Macht kommen möge. Dieser Idee ist jeglicher Stachel allerdings längst gezogen, heute, da „Kreativität“ zum „Heilswort der Gegenwart“ (Ulrich Bröckling) aufgestiegen ist. Eine kritische Betrachtung des Kreativitätsbegriffs fehlt in dem 032C-Heft allerdings genauso wie die Frage, was „Leadership“ denn im Kulturbetrieb genau bedeutet.

Anzunehmen ist, dass das „Creative Leadership“ eine Repersonalisierung der Kunstproduktion und -präsentation signalisiert, die diese potenziell von gesellschaftlichen und politischen Prozessen abkoppelt. Nicht umsonst ist der Kurator zum personifizierten Herrensignifikanten avanciert, der – ob nun in Musik oder Bildender Kunst – Veranstaltungen mit seinem (guten) Namen markiert und labelt. Die Fixierung auf ästhetische Autoritäten hat dabei wohl den entlastenden Nebeneffekt, dass sie die kulturelle Unübersichtlichkeit, an der viele Leute zu leiden scheinen, abmildert. Unterschlagen wird in der Rede vom „Creative Leadership“, dass Führung in der digitalen Postmoderne ohne „genialen“ Kommandeur auskommt.

Die Kollegin Julia Grosse hat in ihrer letzten taz-Kolumne eindringlich beschrieben, wie neue Datentechnologien hinterrücks über unser Leben bestimmen, ohne dass irgendjemand Ansagen macht. Im philosophischen Strang der Governmentality Studies werden – inspiriert von den Arbeiten Michel Foucaults – solche anonymen Selbst- und Herrschaftstechnologien untersucht. Für Foucault bestand Machtausübung in der „Führung der Führungen“, also einer Art Führung zweiter Ordnung. Das heißt: Selbst der angeblich aus sich selbst schöpfende, Regeln brechende und ach so intuitive Kreativführer bestimmt nichts souverän, sondern wird selbst beim Führen angeführt.

■ Aram Lintzel, Publizist, lebt in Berlin