im fußballland
: Fankurve ’76

CHRISTOPH BIERMANN wünscht sich ein TV-Format, das die Fußballhistorie durchspielt

Seit wir überall hinfahren können, außer nach Nordkorea und Bagdad, sorgt das Reisen durch die Zeit für besondere Begeisterung. Im Laufe der Jahre ist auch in Deutschland ein lebhafter Underground entstanden, der von etlichen zehntausend Menschen bevölkert wird, die als Landsknechte das Mittelalter nachspielen und dazu in städtischen Parkanlagen den Schwertkampf üben. Oder sie lassen an langen Wochenenden den Wilden Westen wieder auferstehen.

Zugleich ist „Living History“ ein erfolgreiches Format im Fernsehen geworden, wobei Leute von heute den Lebensbedingungen von gestern ausgesetzt werden. Wir dürfen dabei zuschauen, wie es im „Schwarzwaldhaus 1902“ ohne Zentralheizung, fließendes Wasser und Waschmaschine zugegangen sein könnte. In „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“ durfte man zudem die Freuden einer streng hierarchischen Gesellschaft erleben und in „Die Bräuteschule 1956“ die von bestimmt nicht wenigen Zuschauern schwer vermissten Zeiten, als Frauen noch zu Bräuten erzogen wurden.

Ich persönlich finde zwar die heutigen Zeiten kompliziert genug, um mir nicht auch noch ein Gestern aufhalsen zu wollen, aber mit Fußball würde man mich wohl auch in diesem Fall kriegen. Zwar blickt das Spiel auf eine Historie von nicht einmal 150 Jahren zurück, aber seine Geschichte könnte man selbstverständlich an vielen Punkten durchspielen. Etwa bei „Sportklinik 1956“, wo selbst Meniskusoperationen zu gefährlichen Abenteuern werden, bei denen die Protagonisten spannende Narkosezwischenfälle erleben würden oder den Schweiß vom Wundfieber auf der Stirn stehen hätten. Man würde Kicker mit eingegipsten Beinen sehen und solche mit Tränen in den Augen, weil ein Kreuzbandriss mit Sicherheit das Ende der Karriere bedeuten würde.

Ebenfalls vor Entdeckung des Syndesmosebandes würde „Fußball 1920 – Blut am Schuh“ spielen. Dort könnten wir endlich mal richtig nachvollziehen, wie langweilig Fußball war, als Abseits noch gepfiffen wurde, wenn bei der Ballabgabe nicht mindestens drei Mann der gegnerischen Mannschaft im Weg standen. Einen tollen Aha-Effekt würde auch das Schuhwerk von damals produzieren, unter besonderer Berücksichtigung der angenagelten Lederklötzchen unter dem Fußballstiefel. Nicht zu vergessen die gefühlt zwanzig Kilo Gewicht, die ein echter Lederball entwickeln kann, wenn er sich richtig schön mit Regen und Matsch vollgesogen hat. Klasse auch die Spiele an heißen Sommertagen mit dem früher aus medizinischen Gründen verhängten Verbot, Wasser zu trinken, das bewegende Großaufnahmen ausgezehrter Gesichter ermöglichen würde.

Richtig toll, weil besonders nah am Reenactment der Auseinandersetzungen von mittelalterlichen Horden, wäre „Fankurve ’76“. Dieser Fall für’s Spätprogramm würde deftige Hauereien sogenannter Fußballrocker zum Leben erwecken, die früher ihre Würze dadurch bekamen, dass es in den Stadien noch keinen neumodischen Kram wie Blocktrennung oder Videoüberwachung gab. Außerdem war die Vereinszugehörigkeit der Fans deutlich an ihren Kutten und Schals zu erkennen. Da wusste man wenigstens sofort, wem man was auf die Mappe hauen musste. Gut wäre der Einsatz historischer Waffen: Schlagringe, Totschläger, Fahrradketten, Chakos und Springmesser. Für ein großes Hallo sorgten damals auch mit Sand gefüllte Bierflaschen.

Realen Personen nicht zuzumuten wäre das Format „Meistertrainer Udo“ und müsste von Schauspielern nachgespielt werden, geht es doch um eine Mannschaftsführung im Geiste der Fünfzigerjahre, in der die Schwachen vom cleveren Erfolgscoach gequält werden, der zugleich die wichtigen Spieler bei Laune hält. Doch die Mannschaft hält zusammen und unterminiert seine Autorität, indem sie Zahnpasta auf die Klinke zum Trainerzimmer schmiert und in der Nacht vor dem Spiel gemeinsam in ein Bordell ausbüxt, wo die Spieler mit vollbusigen Blondinen im Arm Zigarre rauchen. Und je länger man sich all das ausmalt, umso drängender wird der Gedanke, dass die Geschichte des Fußball endlich nacherlebt werden muss.

Fotohinweis: Christoph Biermann (45) liebt Fußball und schreibt darüber