Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Der Surrealist Luis Buñuel bezeichnete in seiner Autobiografie den in der Regie von Robert Hamer, Alberto Cavalcanti, Basil Dearden und Charles Crichton entstandenen britischen Episodenfilm „Dead of Night“ (1945) als einen seiner Lieblingsfilme: für heutige Verhältnisse mildes, aber stimmungsvoll fotografiertes Schauerkino um einen Architekten, dem in einem wiederkehrenden Albtraum eine in einem Landhaus versammelte Gesellschaft von übernatürlichen Erlebnissen berichtet. Dabei brilliert insbesondere Michael Redgrave als schizophrener Bauchredner. (13. 6., Eiszeit)

Surreal mutet auch eine deutsche Personenkult-Huldigung im Sinne des Stalinismus an: „Baumeister des Sozialismus“ (1953) von Theo Grandy und Ella Ensink preist Walter Ulbricht, den damaligen Ersten Sekretärs des ZK der SED, aus Anlass seines sechzigsten Geburtstags in heute fast parodistisch anmutender Weise. Da führt Johannes R. Becher im Stile eines Märchenonkels durch die Kindheit des großen Vorsitzenden, und der von Stephan Hermlin verfasste Kommentar lässt uns wissen, dass der junge Walter, „kaum, dass er lesen konnte, seinen Eltern immer aus dem Arbeiterblatt vorlas“. Na, das sind natürlich beste Voraussetzungen für eine tolle Karriere im Staatsapparat der DDR, wo Ulbricht als omnipotenter Supermann für alles und jedes persönlich verantwortlich ist und das Land praktisch eigenhändig aufbaut. Stalins Tod machte 1953 zumindest dem Personenkult-Spuk vorerst ein Ende, der unaufgeführte Film verschwand umstandslos im Archiv und kam erst 1997 wieder zum Vorschein. Heute ist „Baumeister des Sozialismus“ ein spannendes Dokument – auch in der naiven Fortschritts- und Technologiegläubigkeit, die sich zeitbedingt hier immer wieder Bahn bricht. (15. 5., Zeughauskino)

Weit harmloser ist da schon der „Mitternachtstango“ der Regisseurin Viviane Blumenschein: Sie schickt für ihre Dokumentation die drei argentinischen Tangomusiker Chino Laborde, Diego Kvitko und Pablo Greco nach Finnland, weil Aki Kaurismäki in seiner bekannt trockenen Art behauptet, in Wirklichkeit hätten die Finnen Mitte des 19. Jahrhunderts den Tango erfunden. Nun prallen die Kulturen aufeinander: Die Argentinier tuckern mit einem klapprigen Auto im Land der Seen, Mücken und fahrbaren Saunen durch endlose Wälder, entdecken auf provinziellen Tanzfesten die Tangobegeisterung der Einheimischen und lernen nach und nach sämtliche Legenden des finnischen Tangos kennen. Dabei entwickelt der Film ein Gespür für Mentalität, Humor und Leidenschaft der nordischen Gastgeber – was schließlich auch die anfangs skeptischen Argentinier überzeugt. (12.–15. 6., Bundesplatz-Kino; 16. 6., Freiluftkino Kreuzberg)