Die Kinder von Pindorama

KAMPF Wer die großen Männer anzugehen versucht, kann es auch mit einem Ball aus Socken probieren. Bei Siegen darf geweint werden, bei Niederlagen lohnt nur ein Lachen

■ eigentlich: Gustavo Bernardo Galvão Krause, 1955 in Rio de Janeiro geboren, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Arbeitet als Privatdozent an der Universität des Staates Rio de Janeiro und unterrichtet dort Theorie der Literatur.

■ Veröffentlichte einen Gedichtband und schrieb mehrere Romane. Sein 2009 erschienener Roman „Monte Verità“ wurde von Dirk Henrich ins Deutsche übersetzt, aber noch nicht verlegt.

■ Er ist Mitglied der brasilianischen Autorennationalmannschaft „FC Pindorama“.

VON GUSTAVO BERNARDO

Im Schatten der Palmen spielen meine Söhne und Töchter Ball. Der Ball ist aus Socken. Die Socken habe ich den Männern vom großen Boot gestohlen, um daraus diesen Ball zu machen, sie mit Gestrüpp und Sand gefüllt und alles mit Hanf vernäht.

Die Socken zu stehlen ist gefährlich, denn die Waffen der Männer sind groß und glänzen. Doch es muss sein. Pajé sagt mir, dass die Männer mit dem großen Boot gekommen sind, um uns alles zu stehlen, vom Land bis zur Seele. Deshalb muss ich ihnen stehlen, was ich kann, so klein und unbedeutend es auch sein mag. Als kleiner historischer Ausgleich. Sagt Pajé.

Der Ball aus Socken, Gestrüpp und Sand nimmt den Männern ein Stück ihrer Seele. Entblößt für einige Augenblicke ihre Füße und zwingt sie, unseren Boden zu berühren. Und mit dem Ball aus Gestrüpp und Sand kann ich meinen Kindern auch beibringen, es mit so mächtigen Gegnern aufzunehmen. Wie ihre Waffen, so glänzen auch sie in der Sonne, wegen ihrer weißen Haut.

Sie bewegen sich auf seltsame Weise gleichförmig, linker Arm, rechtes Bein, rechter Arm, linkes Bein und so weiter und weiter und weiter. Man könnte glauben, sie seien gar keine Menschen. Eher Gespenster aus Metall und Leder. Oder räuberische Rieseninsekten. Oder doch Halbgötter. Ohne Achtung vor Männern und Frauen, schon gar nicht vor Kindern. Die uns zum Abendessen verschlingen, wenn wir ihnen schmecken. Kein Zweifel, dass sie nicht gekommen sind, um uns kennenzulernen, mit uns zu reden oder uns zu lieben, sondern um zu erobern, belehren und zu vergewaltigen.

Kein Zweifel, dass sie Waffen besitzen und Macht und Organisation, die wir nicht haben. Kein Zweifel, dass viele von uns sterben werden: durch die glänzenden Waffen, die beleidigenden Worte, die Angst einflößenden Kreuze. Kein Zweifel auch, dass wir jetzt Widerstand leisten, von der Generation meiner Kinder über die der Kinder meiner Kinder und weiter, immer weiter in der Zeit. Widerstand leisten mit unseren Waffen aus Holz, unseren Worten aus Flüssen, unseren Göttern aus Wolken.

Dieser Widerstand beginnt mit dem Ball aus Socken, Gestrüpp und Sand. Meine Jungen und Mädchen spielen ihn zwischen den Bäumen und ihren Beinen hindurch. Meine Kinder lernen zu laufen, zu fliehen und anzugreifen, wenn sie es am wenigsten erwarten. Sie lernen die Gespenster zu verwirren und durcheinanderzubringen, die Insekten oder Halbgötter oder was immer sie sind, diese weißen, glänzenden Wesen.

Meine Söhne und meine Töchter werden all dies erlernen und lachen und weinen zugleich, doch weinen, wenn sie siegen, und bei Niederlagen lachen. Nur so wird unsere Seele irgendwie überleben, selbst wenn sie unsere Körper dazu zwingen, zu ihrem Vergnügen zu spielen.

■ Übersetzung aus dem Portugiesischen: Michael Kegler