Rüttgers für Klimawandel

Der NRW-Ministerpräsident setzt sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel für weniger Klimaschutz ein. „Der Mann verspielt Milliarden“, wirft ihm nun das Berliner Umweltministerium vor

von ANNIKA JOERES

Berlin tadelt Rüttgers: Der Klage-Brief des NRW-Ministerpräsidenten an Bundeskanzlerin Angela Merkel stößt auf Unverständnis. Rüttgers hatte in der Schrift von Merkel gefordert, die bald fälligen strengeren Kohlendioxid-Grenzwerte der EU zu stoppen. 250.000 Job seien in Nordrhein-Westfalen gefährdet. „Diese Zahl ist absolut fiktiv“, heißt es aus dem Bundesumweltministerium. Die Ziele des Kyoto-Protokolls seien absolut verbindlich und nicht neu zu diskutieren.

Laut Kyoto muss Deutschland seinen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2012 um 21 Prozent senken. In absoluten Zahlen hieße das eine Obergrenze von 465 Millionen Tonnen des schädlichen Gases pro Jahr. NRW muss nun eine ganze Menge einsparen: Hier werden knapp 50 Prozent des bundesweiten Kohlendioxids ausgestoßen, hier stehen die großen Energie- und Stahlkonzerne. Und hier sollen sieben neue Kohlekraftwerke entstehen – die größten Klimakiller.

„Gerade aus NRW wird immer gegen den Klimaschutz geschossen“, sagt Karsten Smid von Greenpeace. Dabei sei es dieses Bundesland, das den Klimawandel am stärksten verursache. „Rüttgers betreibt eine industriehörige Politik“, sagt Smid. Er glaubt aber nicht, dass Rüttgers Brief an Parteifreundin Angela etwas bewirken kann. „Die Vorgaben aus Brüssel haben nur einen sehr engen Spielraum.“

Die EU hat die deutschen Pläne vor zwei Wochen sogar als „unzureichend“ zurückgewiesen. Der Ausstoß von CO2 müsse noch weiter verringert werden. Laut Bundesumweltministerium bringt Rüttgers die EU nun zusätzlich gegen Deutschland auf. „Der Mann verspielt Milliarden.“ Denn ohne strenge Grenzwerte seien auch die Subventionen für energieintensive Industrien in Gefahr. Sie müssen von der EU genehmigt werden.

Offensichtlich ist Rüttgers der einzige Landeschef, der an die Kanzlerin appelliert. Laut Bundespresseamt gibt es aus den anderen Bundesländern bisher konkreten Forderungen. Rüttgers Brief wollte das Merkel-Amt nicht kommentieren.

Selbst das Münsteraner EEFA-Institut („Energy Environment Forecast Analysis“) sieht das Schreiben von Rüttgers skeptisch. Das wirtschaftsnahe Forschungsinstitut untersucht gerade im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums die Folgen eines geringeren CO2-Ausstoßes auf Unternehmen. „Prognosen können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gemacht werden“, sagt Hans-Georg Buttermann vom EEFA. Volkswirtschaftlich hätten die EU-Vorgaben zwei Effekte: Auf der einen Seite müssen sich Branchen wie etwa die Stahlindustrie für neue, effizientere Anlagen verschulden – dafür müssen sie möglicherweise Beschäftigte entlassen. Auf der anderen Seite können die Anlagenbauer natürlich Menschen einstellen, um die erhöhte Nachfrage zu befriedigen. „Was im Saldo dabei herauskommt, ist noch völlig unklar“, so Buttermann. Das wisse auch Rüttgers – eigentlich.