Letzte Freudiana

Das Freud-Jahr nähert sich dem Ende. Zum Abschluss der Reihe „12 x Freud“ hier noch eine literarische Nachlese. Klaus Theweleit, glühender Freund rebellischer Musik, gilt seit diesem Jahr auch als Experte freudianischer Deutungen moderner Popmusik: Sein „Absolute(ly) Sigmund Freud Songbook“ (Orange Press, Freiburg 2006) birgt eine feine Sammlung von Zitaten aus der Welt jugendlicher Mucken. Schlager oder Easy Listening allerdings fehlen in der Rezeption völlig. Man wüsste doch gern, beispielsweise, wie er freudhaft Wencke Myhres „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ läse: als protofeministischen Spiegel weiblicher Ehrerbietung an das phallische Prinzip oder als subversive, an die „Traumdeutung“ gemahnende Perspektive, sich den Mann schmackhaft zu machen?

Sympathisch auch Joseph Schachters „Leben verändern“, (Edition Psychosozial, Gießen 2006), in dem Analytiker und Patienten von ihren Erfahrungen mit der Psychoanalyse berichten. Mehr aufs alternative Gehege gezielt sind zwei zum 150. Freud-Geburtstag erschienene Lektüren, die die westliche, jüdisch-christliche Sichtweise auf das Psychische erörtern: Der Sammelband „Ethnopsychoanalyse“ (Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2006) sowie der wiederaufgelegte Klassiker „Die Weißen denken zuviel“ von Paul Parin, Fritz Morgenthaler und Goldy Parin-Mattèy mit ihren psychoanalytischen Untersuchungen bei den Dogon in Westafrika bedienen den hiesigen Glauben, anderswo werde Seelisches ganz anders, vielleicht sogar besser, im Szenejargon: weniger verkopft gelebt.

Unbedingt verschenkenswürdig ist der Briefwechsel von Sigmund Freud mit seiner Tochter (und Erbin) Anna (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006): Wunderbare Dokumente einer Vater-Tochter-Beziehung, Anna Freud ist einfach großartig, wenn sie ihre Schritte aus dem Schatten des Vaters geht. Eine Aufsatzsammlung zu einer Tagung zur Aktualität Alexander Mitscherlichs ist mit „Freud in der Gegenwart“ betitelt: Von Jan Philipp Reemtsmas wunderbarem Text zum Autor der Nachkriegsgewaltforschung abgesehen, ist der Band überhaupt eine Fundgrube für den Diskurs der jungen Bundesrepublik: Erfolgsjahre – auch, weil Freud und die Psychoanalyse wieder praktiziert und gelehrt werden konnten. JAF