der kellner und der fischkuchen von RALF SOTSCHECK
:

Keine Nation in Europa gibt mehr für Weihnachten aus als die Iren. Jeder Haushalt verprasst im Durchschnitt 1.399 Euro für Geschenke, Völlerei und Ausgehen. Das ist mehr als doppelt so viel wie der europäische Durchschnitt. Aber nur fünf Prozent der Befragten sagen, dass ihnen die Weihnachtseinkäufe Spaß machen: Die Geschäfte seien zu voll und es mangle an zündenden Geschenkideen. Wenn die Männer besser zuhörten, bestünde allerdings keine solch große Diskrepanz zwischen den Weihnachtswünschen der Ehefrauen und den Geschenken, ihrer Männer: 40 Prozent hätten gern eine Reise, aber nur sieben Prozent bekommen sie.

Der irische Mann führt seine Gattin in der Weihnachtszeit lieber ins Restaurant aus, damit sie milde gestimmt ist und ihm den wöchentlichen Vollrausch, der ebenfalls zur Adventszeit gehört, nicht allzu sehr ankreidet. Da viele Restaurants ausgebucht sind, nutzen sie die Gunst der Stunde und die festlich verklärten Gemüter, um die Kundschaft auszunehmen wie die Weihnachtsgans: Sie bieten lediglich ein „Christmas Special Dinner“ zum horrenden Preis an, und wem das nicht passt, der bekommt gar nichts.

Das „Rupsha“, unser Lieblingsinder in Norddublin, macht das nicht. Der Kellner ist trotz des Andrangs stets freundlich, versucht allerdings ständig, einem ein großes, teures Cobra-Bier anzudrehen, selbst wenn das Glas noch voll ist. Ich führe seit Jahren einen kleinen Privatkrieg gegen ihn. Ich bestelle jedes Mal einen „Special Mixed Grill“, der aus einer Auswahl von Tandoori-Huhn, Tikka und Lasooni besteht – und einem Fischkebab. Der fehlt jedoch seit Menschengedenken, und auch bei unserem Adventsbesuch ist von ihm nichts zu sehen. Ich moniere das wie immer, der Kellner entschuldigt sich lächelnd und verschwindet in der Küche. Wie üblich kommt er, just wenn ich meine Mahlzeit beendet habe, mit einer Untertasse zurück, auf der ein grässlicher Fischkuchen liegt – eine graue Masse, in der sich vermutlich ein Hering gewälzt hat. Ich esse ihn auch diesmal tapfer auf, während der Kellner mich beobachtet. Ich nehme an, dass er den Fischkebab nicht von der Speisenkarte streicht, weil er genauso viel Spaß an unserem Ritual hat wie ich.

Doch vorige Woche kommt es anders. Weil wir überraschend Besuch haben, bestellen wir beim „Rupsha“ eine Lieferung. Ich höre ungläubig, wie Aine am Telefon sagt: „Nein danke, wir trinken keinen Alkohol.“ Ob sie von allen guten Geistern verlassen sei, will ich wissen. „Er wollte mir ein Cobra-Bier aufschwatzen“, entgegnet sie. Aber nein, heule ich auf: Bei Bestellungen über 45 Euro erhalte man das Bier gratis. Der Kellner schickt uns stattdessen höhnisch zwei Dosen Cola light.

Der Fischkebab fehlt natürlich, und auch vom Fischkuchen ist nichts zu sehen. Der Kellner möchte wohl, dass ich mich telefonisch beschwere, denke ich, so dass er mir das grauenhafte Teil Stunden später bringen kann. Zweifellos würde er durch das Fenster beobachten, wie ich die fischige Masse herunterwürge. Doch dann entdecke ich unter dem Reis eine riesige Garnele als Fischkebab-Ersatz. Der Kellner ist offenbar von einer unangebrachten Weihnachtsmilde überkommen worden. Wie schade.