piwik no script img

Die Eis-Entdeckung

Sie waren der Schrecken der Antike. Dank der Doku „Das Geheimnis der Eismumie“ (20.15 Uhr, ZDF) werden die Skythen nun zu Medienstars

Von Barbara Kerneck

Klobige Lastwagen rattern über die graugrüne Ebene. Wir befinden uns im Sommer 2006 in der Äußeren Mongolei. In über 2.500 Metern Höhe, im Sperrgebiet an der russischen Grenze untersucht ein ZDF-Fernsehteam für die Serie „Schliemanns Erben Spezial“ mit deutschen, russischen und mongolischen Archäologen sogenannte Kurgane, die Gräber der unter dem Namen Skythen bekannten sagenhaften Reiternomaden. Die wochenlange Expedition von Gisela Graichen, Peter Prestel und ihrem Kameramann unter sengender Sonne und in eisiger Kälte dürfen wir heute per Fernbedienung begleiten. Und den Fund, der dann doch Wirklichkeit wurde.

Nachdem sich mehrere geöffnete Kurgane als leer erwiesen, konnten die Archäologen endlich IHN zu Tage fördern, den teilmumifizierten Körper eines skythischen Kriegers von hohem Rang, gekleidet in Murmelpelz und Hermelin, unter Steinen, einer Filzdecke und Holzbohlen. Der 30- bis 40-jährige Mann wurde im 3. Jahrhundert vor Christus in einem unterirdischen Holzhäuschen mit zwei prachtvoll gezäumten Pferden und wunderbaren Grabbeigaben bestattet: Dolch, Streitpickel und Bogen, mit Wegzehrung und – man kann nie wissen – mit einem Taschenspiegel.

Trotz ihrer stilvollen Kultur und ihres Totenkultes, der den Ägyptern in nichts nachstand, wurden die Skythen bis heute fast vergessen. Dies hat vor allem einen Grund: Sie hatten keine Schrift und konnten von sich selbst kein adäquates Zeugnis ablegen. Von einer „Sensation“ sprechen deshalb die ZDF-Leute, einer Entdeckung, die sogar Ötzi in den Schatten stellen könne: „Wie in seinem Fall werden die Wissenschaftler aus der Mumie und den Begleitfunden die gesamte Lebenswelt des Verstorbenen rekonstruieren können.“

Hermann Parzinger, der Leiter der Expedition und Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, wiegelt den Ötzi-Vergleich später auf der Pressekonferenz zum Film diplomatisch ab. Schließlich sei Ötzi fast doppelt so alt. In der Serie „Schliemanns Erben“ ist Parzinger mit Fug und Recht zum Haupterben avanciert. Bei der jahrelangen Zusammenarbeit sind nicht nur die TV-Journalisten ein wenig zu Archäologen geworden, sondern auch die Archäologen zu Fernsehleuten. Deshalb belassen sie es ansonsten bei der Sensation.

Tatsächlich ist über die Lebenswelt der Skythen schon einiges bekannt, nicht zuletzt dank mehrerer in den 90er-Jahren ausgegrabener Eismumien, von denen einige besser erhalten sind als die jüngste. Aus deren ethnologischer und sogar DNS-Analyse wissen wir, dass die Skythen indogermanische Stämme waren, welche den Irakern nahestanden, aber auch schon mal Mongolen in die Familie aufnahmen. Sie führten Blitzkriege und waren zwischen dem 3. und 8. vorchristlichen Jahrhundert zwischen dem Jenissej und den Grenzen Mitteleuropas der Schrecken der Antike. Nur mit den Griechen lebten sie jahrhundertelang in erquicklicher Symbiose. Sie lieferten ihnen Gold, Pferde und Sklaven und bekamen dafür allerhand Luxusgüter und Getreide. Ihnen verdanken wir die Sagen von den Argonauten und wahrscheinlich auch von den Amazonen. Zumindest in der heutigen Ukraine hatten sie weibliche Bataillone.

Ein bisschen erzählt uns der Krieger aus dem Eis aber auch über die Zukunft. Denn der Sommer 2007 wird ein Mumien-Sommer. Im Martin-Gropius-Bau in Berlin soll dann eine Riesenausstellung stattfinden: „Im Zeichen des goldenen Greifen – Königsgräber der Skythen“. Im Herbst wandert sie nach München und Hamburg. Derweil wird die kostbare Mumie im Anatomie-Zentrum der Uni Göttingen untersucht, interdisziplinär und international. Während die Russen ihre Skythenmumien Anfang der 90er-Jahre geizig in den Kellern ihrer Akademien versteckten, lässt Hermann Parzinger die Welt auch an diesem Prozess per TV-Kamera teilnehmen – die Aufnahmen zu „Die Mumie II“ laufen bereits.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen