Regierung in Wien lenkt beim Babygeld ein

Nach massivem öffentlichen Druck gewährt Österreich Neugeborenen ohne Pass künftig wieder Sozialleistungen

WIEN taz ■ Am 11. Januar, so haben die Parteichefs Alfred Gusenbauer, SPÖ, und Wolfgang Schüssel, ÖVP, verkündet, soll die neue österreichische Regierung vereidigt werden. Präsident Heinz Fischer hatte Druck gemacht, das Verhandlungstempo zu beschleunigen. Schließlich sind seit den Wahlen vom 1. Oktober zweieinhalb Monate vergangen. Die abgewählte Regierung, Schüssels Koalition mit Haiders BZÖ, ist noch immer interimistisch im Amt. Neue Initiativen darf sie keine mehr setzen, doch auch ihre alten Taten sorgen für ausreichend Konfliktpotenzial.

Jüngster Aufreger war der sogenannte Babyerlass von BZÖ-Sozialministerin Ursula Haubner, der tausende Mütter über Nacht ins Elend stürzte. Opfer der Direktive waren Neugeborene, deren Mütter legal in Österreich leben, aber die ausländische Staatsbürgerschaft besitzen. Durch einen Erlass der Sozialministerin vom August wurden sie von praktisch allen Sozialleistungen ausgeschlossen.

Das Anfang 2006 in Kraft getretene novellierte Fremdenrecht verlangte den Säuglingen eine eigene Aufenthaltsgenehmigung ab. Diese erteilen die Behörden erst, wenn die neuen Erdenbürger Dokumente aus dem Heimatstaat der Mutter vorlegen können. Das kostet Zeit und Geld. Bis zum Haubner-Erlass wurden Familienbeihilfe und Kindergeld rückwirkend ausgezahlt, wenn die bürokratischen Hürden genommen waren. Nach der Neuregelung gab es das Geld erst ab Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung.

Als im November die ersten Fälle publik wurden, gab es einen Aufschrei der humanitären Organisationen, der auch die Politik wachrüttelte. Als erste reagierten die Grünen. Dann empörten sich auch SPÖ und ÖVP, die das Gesetz ausgearbeitet und im Parlament beschlossen hatten. Die SPÖ brachte die Sache in die Koalitionsgespräche mit der ÖVP ein. Dort beschloss man, die Sozialministerin zur Rücknahme ihres Erlasses aufzurufen.

Doch Haubner blieb beharrlich. Der Erlass sei zur Vollziehung des Gesetzes notwendig. Im Übrigen wundere sie sich über die ÖVP. Schließlich sei die Verschärfung des Fremdenrechts ein gemeinsames Projekt gewesen. Nach einem Termin mit Innenministerin Liese Prokop, ÖVP, einigte man sich, die „wenigen“ Härtefälle zu prüfen.

Solche Härtefälle kann man fast täglich in den Medien finden. Etwa die 25-jährige Serbin Sanela Rajcic, die ihre Tochter mit Plastikbeuteln wickelt, weil sie sich keine Windeln leisten kann. Sie verpasste sogar, wie der Kurier berichtete, die sechsmonatige Frist zur Eintragung ihrer Tochter, da ihr Lebensgefährte in Serbien-Montenegro erst einen Vaterschaftsnachweis vorlegen musste, um das gemeinsame Kind zu dokumentieren.

Innenministerin Prokop hat es in der Hand, eine „humanitäre Familienzusammenführung“ per Gnadenakt zu genehmigen. Nach der Gesetzeslage ist es unerheblich, ob und wie lange jemand in Österreich gearbeitet und Sozialversicherung eingezahlt hat. Der Ausfall von Kindergeld und Familienbeihilfe – zusammen 600 Euro monatlich – kann existenzbedrohend sein. Zudem waren Kinder nicht krankenversichert, solange sie sich nicht ausweisen konnten.

Letzten Freitag nützten SPÖ, ÖVP und Grüne die letzte Nationalratssitzung vor den Weihnachtsferien, um das Gesetz im strittigen Punkt zu reparieren. Babys brauchen jetzt keinen Pass mehr, um in den Genuss von Kindergeld und Familienbeihilfe zu kommen. Begünstigt sind jetzt auch Asylsuchende, deren Antrag abgewiesen wurde, die aber aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden können. RALF LEONHARD