Prima Klima für Europa

Trotz der Klagen über eine zunehmende EU-Müdigkeit: Die meisten Deutschen wünschen sich eine gemeinsame europäische Energie- und Umweltpolitik

AUS BERLIN SABINE HERRE

Die Deutschen sind nicht europamüde. Im Gegenteil. Eine neue Meinungsumfrage der EU-Kommission, die der taz vorliegt, zeigt: Immer mehr Bundesbürger treten für eine gemeinsame europäische Energie- und Umweltschutzpolitik ein. Waren es vor einem Jahr nur 55 Prozent, die die Ansicht vertraten, dass eine „nachhaltige und geopolitisch kluge Energiepolitik nur durch Zusammenarbeit der EU und ihrer Mitgliedsstaaten funktioniert“, so sind es nun schon 66 Prozent. Noch mehr Zustimmung gibt es für eine EU-Umweltpolitik. 76 Prozent der Deutschen – 8 Prozent mehr als bei der letzten Eurobarometer-Umfrage – sprechen sich dafür aus. Damit liegt Deutschland deutlich über dem EU-Durchschnitt von „nur“ 64 Prozent. Das Eurobarometer, das heute in Berlin in der deutschen Vertretung der EU-Kommission vorgestellt wird, zeigt jedoch auch in anderen Politikbereichen eine klare proeuropäische Haltung der Deutschen: So sind 84 Prozent für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und 73 Prozent wollen eine EU-Verfassung.

Ist die Klage über die seit Ende des Kalten Krieges ständig abnehmende EU-Begeisterung der Deutschen grundlos? Tatsächlich ist die Lage komplizierter – auch dies geht aus den Daten des der taz vorliegenden Eurobarometers hervor. So hat die EU nur noch bei 42 Prozent der Deutschen ein „positives Image“, jahrelang lag der Wert bei 60 Prozent. Und: 56 Prozent sind nach wie vor gegen einen EU-Beitritt Bulgariens. Rumänien wollen sogar 64 Prozent der Deutschen nicht in der Europäischen Union sehen.

Doch woran liegt es, dass die Europäische Union einerseits kein gutes Image hat, die Bundesbürger aber trotzdem hohe Erwartungen an die europäische Politik stellen? Michael Weigl vom Münchner „Centrum für angewandte Politikforschung“: „Die Deutschen sind gleichzeitig europafreundlich und EU-skeptisch. Zwischen der Idee Europa und der als Bürokratiemoloch wahrgenommenen EU wird deutlich unterschieden.“

Auffallend ist, dass sich die proeuropäische Haltung der Bundesbürger vor allem bei außenpolitischen Fragen zeigt. Weigl: „Die Diskussion über eine Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gas- und Öllieferungen hinterlässt hier ebenso ihre Spuren wie das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der militärischen Übermacht der USA. Beides zusammen ist Ausdruck einer tiefen Verunsicherung im Zeichen der Globalisierung.“ Deutschland allein, so die vorherrschende Stimmung, könne auf der weltpolitischen Bühne nur wenig ausrichten. „Die Umfragewerte spiegeln den Wunsch der Deutschen wieder, Europa weltpolitische Geltung zu verschaffen.“

Der Versuch des russischen Präsidenten Putin, mit seiner Energiepolitik die EU zu spalten, scheint somit gescheitert. Vielmehr förderte er durch den „Gaskrieg“ mit der Ukraine den europäischen Einigungsprozess. Carsten Kluth, verantwortlich für die deutsche Ausgabe des Eurobarometers: „Energie ist eines der beherrschenden Themen der europäischen Politik geworden.“ Zugleich verstärken die hohen Erwartungen der Deutschen an eine gemeinsame EU-Energiepolitik aber auch den Druck auf Angela Merkel. Die Kanzlerin will den Klimawandel zu einem Schwerpunkt ihrer EU-Ratspräsidentschaft machen. Bisher ist Energiepolitik allein Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Soll es zu einer gemeinsamen Energiepolitik kommen, müssten die Nationalstaaten auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten und Kompetenzen auf Brüssel überragen. Dies haben viele Regierungen – nicht zuletzt die deutsche – bisher stets abgelehnt.

Knapp die Hälfte der Bundesbürger ist der Ansicht, die EU ermögliche es den Menschen, von den positiven Auswirkungen des internationalen Wettbewerbs zu profitieren. Europaweit sind das 48 Prozent. Hier gibt es allerdings einen deutlichen Ost-West-Unterschied. 49 Prozent der Bürger der 10 neuen EU-Mitgliedsstaaten bewerten die Auswirkungen der Globalisierung auf ihr Land positiv, in der alten EU-15 sind es nur 39 Prozent.

Und noch ein weiteres Ergebnis der Umfrage der EU-Kommission überrascht. Während nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zur Verfassung immer mehr Politiker fordern, dass sich die EU intensiver um Sozialpolitik kümmert, wollen 62 Prozent der Deutschen die Zuständigkeit dafür bei den nationalen Behörden belassen. Allerdings ist dies ein Rückgang von 5 Prozentpunkten; immerhin 36 Prozent der Deutschen sind inzwischen davon überzeugt, dass „Arbeitsmarktpolitik europaweit abgestimmt werden sollte“. Auffallend sind bei den Ergebnissen des Eurobarometers zur Sozialpolitik die Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Deutschen. Nur 37 Prozent der über 40-Jährigen sehen den „Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ als Aufgabe der EU, bei den 15- bis 24-Jährigen sind es 55 Prozent. Carsten Kluth: „Unsere Daten zeigen eine klare Tendenz zu einer wachsenden europäischen Identität unter den jungen Europäern.“