berliner szenen Arbeit schenken

Steine stapeln

Zuerst waren nur alle Fahrräder auf unserem Friedrichshainer Hinterhof mit rotem Absperrband umwickelt. Da mein Fahrrad ordentlich im Ständer stand, dachte ich dabei an ein großes verfrühtes Geschenk zu Weihnachten. Doch mein Nachbar hielt es für eine Fehlleistung des Hauswarts, der in DDR-Zeiten das Polizeibuch in unserem Haus führte. Manchmal kann er nicht aufhören, konspirativ zu sein, taucht aus dem Nichts auf und wir Mieter ziehen extra die Köpfe ein, denn wir möchten ihn nicht enttäuschen. Deshalb warteten mein Nachbar und ich ein paar Stunden, bis wir das Absperrband zerschnitten.

Am nächsten Tag wurde auf dem Trottoir vor unserem Haus ein riesiger Berg Steine abgeladen, den eine alte Frau mit bloßen Händen nach und nach in eine Schubkarre hob und auf den Hinterhof fuhr. Die alte Frau trug schwere Holzschuhe, ein Kopftuch ins Haar gebunden, vorn geknotet, dazu eine Schürze. Im Schweiße ihres Angesichts stapelte sie Steine, unser Hof hätte eine neue Bepflasterung tatsächlich nötig.

„Vielleicht ist sie eine arme Rentnerin, die sich etwas dazuverdient, wir dürfen sie nicht auslachen“, sagte mein Nachbar. Das fiel mir schwer, weil die Frau gerade eine Thermoskanne aus ihrem Rucksack holte und aus einem Emaillebecher trank, dabei war ihr die Kordel ihres Brustbeutels im Weg. Den Brustbeutel nahm sie nicht ab, misstrauisch drehte sie sich dauernd um, vielleicht vermutete sie Trickbetrüger in unserem Bezirk.

Unser Hauswart ist wie immer der Schlaueste von uns. Die Frau sei die neue Besitzerin aus dem Westen und habe ein Trümmerfrauentrauma abzuarbeiten. „Wir sollten sie nicht enttäuschen!“, sagt er und gibt mir ein Kopftuch. JUTTA RAULWING