Die Net Force in der ersten Reihe

Muss sich Anna Wintour in zwei Jahren um ihren Arbeitsplatz sorgen? Im Internet ist die rasante Entwicklung einer ganz neuen Konkurrenz für die etablierten Modemagazine zu beobachten. An vorderster Front steht Diane Pernet mit iqons.com

Ein gewichtiger Teil der Berichterstattung steht inzwischen im InternetOnlinemedien gelten Modeinteressierten mittlerweile als Pflichtlektüre

von JAN KEDVES

Erst vor wenigen Wochen wurde in den Kinos der Mythos vom Modejournalismus als Spielwiese eines einzigen Riesenegos beschworen. „Der Teufel trägt Prada“ hieß der Film, in dem es schien, als käme man nicht umhin, wollte man im Modegeschäft wahrgenommen werden, einer einzigen, allzu mächtigen Frau zu gefallen: Anna Wintour, der Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, im Film kaum verschleiert vertreten durch Miranda Priestly (Meryl Streep). Ein einziges falsches Outfit, ein fast unmerkliches angeekeltes Zucken ihrer Mundwinkel, und schon – so die Lehre des Films – kann ein Designer seine schönen Karrierehoffnungen begraben.

War dies sicherlich auch eine leinwandfreundliche Zuspitzung der Tatsachen, so stützte „Der Teufel trägt Prada“ zumindest die These, dass Modemagazine, allen voran Vogue, in Stilfragen noch immer absolute Deutungshoheit genießen. Nur konsequent also, dass die schicken Apple-Computer, die in dem Film auf den Schreibtischen der Redaktionsräume standen, keine weitere Funktion zu erfüllen hatten als, nun ja, eben schick auszusehen.

In Wirklichkeit spielen Computer im Modegeschäft natürlich längst eine weit bedeutendere Rolle: Ein nicht unerheblicher Teil dessen, was über Mode geschrieben und berichtet wird, war in letzter Zeit im Internet zu lesen – und zwar nicht bei den noch immer recht lieblos gestalteten Online-Auftritten der etablierten Printmagazine, sondern bei unabhängig von Verlagsimperien operierenden Weblogs, E-Zines und Newsletter-Services. Per Klick zum neuesten Chic: „Hintmag“, „Daily Candy“, „JC Report“ oder „A Shaded View On Fashion“ heißen die – fast ausschließlich englischsprachigen – Onlinemedien, die Modeinteressierten mittlerweile als Pflichtlektüre gelten. Abgesandte dieser Medien haben sich bei Modenschauen längst einen Platz in der ersten Reihe neben Anna Wintour oder Suzy Menkes von der International Herald Tribune erkämpft – weswegen sie in der Branche bereits anerkennend als „Net Force“ bezeichnet werden.

Möchte man im Bild des aktuellen Modegeschäfts als Schauplatz einer Online-Medien-Revolution bleiben, muss man Diane Pernet als so etwas wie ihre Anführerin bezeichnen: Stets bewaffnet mit ihrer Digitalkamera und einem Live-Blogging-fähigen Mobiltelefon füttert Pernet ihren Weblog „A Shaded View On Fashion“ rund um die Uhr mit Neuentdeckungen. „Früher habe ich für elle.com und vogueparis.com geschrieben, daher weiß ich, wie schwierig es ist, jungen Talenten, die sich noch keine Werbung leisten können, Aufmerksamkeit zu verschaffen“, erklärt sie – und schreibt seit Anfang letzten Jahres im eigenen Auftrag über alles, was sie persönlich wegweisend findet. In den letzten Wochen waren das unter anderem die Russin Lotta Skeletrix und der Däne Henrik Vibskov – Designer, die zwar noch recht unbekannt sind, nach deren Entwürfen man aber, davon ist auszugehen, schon bald im Laden verlangen wird. Immerhin zählt „A Shaded View On Fashion“ inzwischen etwa beachtliche 100.000 Aufrufe täglich. Und da Pernet, die in den Achtzigerjahren in New York selbst einmal Modedesignerin war, die Hightech-Ästhetik ihres Blogging-Equipments konsequent mit dem zeitlosen Goth- Look einer Mafiawitwe zu konterkarieren weiß – stets erscheint sie mit blass gepudertem Gesicht, knallroten Lippen, hoch aufgestecktem Haar, schwarzem Schleier und schwarzer Sonnenbrille – wird sie in der Modeszene längst selbst als Ikone hofiert.

Dass die Mode und das Internet einmal derart einvernehmlich Hand in Hand gehen würden, überrascht doch beinahe: Zu Beginn des neuen Jahrtausends, als der mit großem Tamtam gelaunchte Online-Modeversand boo.com in nur sechs Monaten 120 Millionen Dollar Venture-Kapital verbrannte und danach pleite ging, sah es zunächst danach aus, als würden sich die beiden Bereiche nie wieder grün werden. Und auch im publizistischen Sektor war lange unklar, wie sich die fehlende Haptik von Textilien, um die es im Modegeschäft ja letztlich noch immer geht, im Internet wettmachen ließe. Die Printmagazine hatten als Substitut immerhin das Hochglanzfinish ihres Papiers.

Mittlerweile sind mit der Verbreitung von Broadband-Anschlüssen kürzere Ladezeiten und höhere Bildauflösungen möglich, zudem hat der User einen Lernprozess durchlaufen: Mit der Erfahrung des einen oder anderen Fehlkaufs bei Ebay und dem regelmäßigen Abgleichen der auf Webseiten angekündigten Kollektionen mit den später auf den Stangen der Läden vorgefundenen, scheinen Webuser mittlerweile imstande zu sein, selbst wenige Pixel im Kopf zu einer originalgetreuen 3-D-Ansicht hochzurechnen. Online-Versandhäuser wie net-a-porter.com oder yoox.com arbeiten mittlerweile wirtschaftlich sehr erfolgreich. So erfolgreich, dass die Rechte-Inhaber des Namens boo.com Gerüchten zufolge tatsächlich einen Neustart des Pleiteprojekts im kommenden Jahr erwägen.

Als bislang ambitioniertestes Projekt im Bereich der neuen Online-Modemedien darf indes iqons.com gelten, eine Social-Networking-Plattform, die vor kurzem in einer Beta-Version gelauncht wurde und Mitte Januar voll funktionstüchtig sein soll. Iqons hat sich vorgenommen, für die Modeszene das zu werden, was Myspace vor kurzem für junge Bands war: eine Chance, die strengen Hierarchien der Industrie zu umgehen und die Zielgruppe direkt zu erreichen. „Set fashion free“ lautet etwas vollmundig das Motto der Plattform, mit der nun auch die Mode endgültig im usergenerierten „Web 2.0“ angekommen ist. Nicht nur Designern, sondern auch Fotografen und Stylisten soll auf iqons.com die Möglichkeit gegeben werden, kostenfreie Online-Portfolios anzulegen und diese im „Freunde“-Prinzip miteinander zu vernetzen. Die Initiatoren der Seite sind vom Fach: Rafael Jimenez arbeitete in Paris lange Jahre für Comme des Carçons und entwickelte für das Label das innovative Konzept der „Guerilla-Stores“ – temporärer, bewusst „improvisiert“ gehaltener Läden, die für maximal ein Jahr eröffnen und danach an einen neuen Ort weiterziehen. Außerdem dabei als Schirmherrin: Diane Pernet.

Nun wird es zwar wohl noch etwas dauern, bis man erstmals von einem Modeschöpfer als „Iqons-Designer“ sprechen wird, so wie man in diesem Jahr von den schottischen Arctic Monkeys als „Myspace-Band“ sprach – fest steht hingegen schon jetzt, dass Diane Pernet und Rafael Jimenez nicht davor zurückscheuen, auf iqons.com auch eher unglamourösen Themen wie Urheberrecht und geistigem Eigentum Platz einzuräumen: „Rip Off“ heißt die Sektion der Seite, in der jeder User auf Ideenklau im Modebusiness aufmerksam machen kann. Es scheint, als seien sich Jimenez und Pernet von Anfang an darüber klar gewesen, dass ihre Plattform auch die Designer großer Labels anlocken wird, für die die Profile junger, unbekannter Labels eine willkommene Inspirationsquelle darstellen. Der belgische Designstar, der eins zu eins die Joggingschuhe der deutschen Bundeswehr kopiert, oder der amerikanische Jeansriese, der dreist die Schnitte eines jungen Labels aus Schweden abpaust: „In dieser Rip-Off-Sektion wird es sehr interessante, aber auch einige sehr bösartige Kommentare zu lesen geben“, ist sich Iqons-Initiator Rafael Jimenez schon jetzt sicher.

Den Platz, den solche durchaus wichtigen Diskussionen auch auf ihren Seiten einnehmen könnten, verschenken die etablierten Modemagazine derweil nach wie vor lieber an Klatschmeldungen aus der High Society – was wohl nicht zuletzt auch mit der Angst zusammenhängt, wichtige Anzeigenkunden zu verprellen. Ob diese allzu vornehme Zurückhaltung für sie irgendwann zu einem ernsthaften Problem werden könnte – dann nämlich, wenn es gilt, sich gegenüber den forscheren Online-Wettbewerbern zu behaupten –, lässt sich derzeit zwar kaum abschätzen. Diane Pernet gibt sich allerdings schon mal siegessicher. „Ich bezweifle zwar, dass Anna Wintour sich jetzt schon Sorgen um ihren Arbeitsplatz macht“, sagt sie. „Aber wir werden ja sehen, wie es in zwei Jahren aussieht.“

www.ashadedviewonfashion.com; www.iqons.com; www.jcreport.com