die taz vor 20 jahren über die freilassung von andrej sacharow und jelena bonner
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Na endlich. Die Rückkehr der Verbannten ist perfekt. Und indem Sacharow wieder in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen wird, ist er mit seinen Inhalten nun voll rehabilitiert.

Während Gegenspieler Ronald Reagan im Sumpf der Skandale zu versinken droht, darf sich Michail Gorbatschow im Wohlwollen der Öffentlichkeit tummeln. Die Entscheidung ist Gorbatschow sicher nicht leicht gefallen: Als die Verbannung des ungeliebten Kritikers im Westen und Osten Proteststürme hervorrief, wurde der Fall zur Prestigefrage. Normalerweise ist ein Nachgeben in den Denkschemata der Macht Gesichtsverlust. Daß das Gegenteil stimmt, wird Gorbatschow nun spüren. Vielleicht wird die positive Resonanz auch andere im Apparat überzeugen, daß dies nur der erste Schritt sein kann.

Wenn immer noch politisch und religiös Verfolgte in den Gefängnissen sind und dort sterben, wie das wieder mit dem Tod von Anatolij Martschenko nur allzu deutlich wurde, bleibt auch die Gnade gegen die nach Gorki Verbannten Makulatur. Solange die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte deren Verletzung bewirkt, hat der eingeschlagene Reformkurs keinen Erfolg. Wer Offenheit und Kritik in der Gesellschaft wagen will, muß dafür rechtliche Sicherheit im System verankern.

Die Freilassung Sacharows hat die Hoffnungen auf substantielle Veränderungen in der Sowjetunion gestärkt. Die positiven Zeichen in der Rüstungskontrollpolitik, in den Angeboten an die USA und die NATO, die Versöhnungsgesten gegenüber China und die angestrebte Wirtschaftsreform sind große Ziele. Wenn sich auch Unmut im Apparat äußert, weil es manchem zu schnell geht und liebgewonnene Gewohnheiten einer Prüfung unterzogen werden, so kann Gorbatschow doch auf die Sympathien der Mehrheit hoffen.

Erich Rathfelder, 20. 12. 1986