Sri Lanka: Rebellen entführen über 20 Kinder

Tamilensprecher kündigt Untersuchung an. Kindersoldaten werden von beiden Konfliktparteien zum Töten gezwungen

BERLIN taz ■ Sowohl die Tamilenrebellen der „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) als auch regierungstreue Gruppen in Sri Lanka greifen offenbar zunehmend auf die Rekrutierung von Minderjährigen zurück. Am Montagabend entführten LTTE-Rebellen im umkämpften Osten des Landes mehr als zwanzig Schulkinder. Nach Angaben des sri-lankischen Militärs handelt es sich um 21 Mädchen und drei Jungen zwischen 15 und 17 Jahren, die eine Privatschule in Thirukkovil im Distrikt Amparai besuchten. Das sri-lankische Militär wirft der LTTE vor, mit derartigen Entführungen „verzweifelt zu versuchen, ihre in den jüngsten Kämpfen umgekommen Kämpfer zu ersetzen“. Die LTTE bestätigte, dass eine ihrer Einheiten in Amparai die Jugendlichen in ihrer Gewalt habe. Nach Angaben des LTTE-nahen Internetportals Tamilnet bezeichnete ein Sprecher die Entführung allerdings als „bedauerlichen Vorfall“ und meldete, der zuständige LTTE-Kommandeur habe seine Männer aufgefordert, die Entführten unverzüglich freizulassen.

Den Tamilenrebellen wird seit Jahren vorgeworfen, ihre Kämpfe mit Hilfe von Kindersoldaten zu führen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren jedoch auch die Regierung, dass sie ihr ergebene Milizionäre bei der Rekrutierung von Kindersoldaten gewähren lasse. Vor allem die sogenannte Karuna-Gruppe soll zunehmend Kinder rekrutieren. Karunas Milizen, deren Stärke auf mehrere Hundert Kämpfer geschätzt wird, spalteten sich 2004 von der LTTE ab und kämpften seitdem gegen sie. Die internationalen Beobachter des brüchigen Waffenstillstandes von 2002 kritisieren seit längerem, dass die sri-lankische Regierung die Karuna-Gruppe aktiv unterstützt. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef zählte allein im östlichen Distrikt Batticaloa in diesem Jahr bislang 135 Fälle von Kindesentführungen durch die Karuna-Gruppe und schätzt die wahre Zahl auf mindestens das Dreifache.

In einem bislang unveröffentlichten Bericht von Human Rights Watch (HRW) wird von hunderten minderjähriger Jungen berichtet, die von der Karuna-Gruppe entführt worden seien. „Wir haben klare Beweise dafür, dass Regierungstruppen den Karuna-Leuten geholfen haben, Jungen und junge Männer zu entführen“, sagt Jo Becker, Kinderrechtsexpertin bei HRW. In einem Fall seien Regierungssoldaten in ein Dorf gekommen und hätten zunächst eine Liste der Jungen und jungen Männer erstellt. Auch Fotos seien gemacht worden. Kurz darauf hätten Milizionäre unter Karunas Kommando mehrere Jungen entführt. HRW wirft der sri-lankischen Regierung vor, dass sie mindestens seit Juni von den Entführungen wisse. Die Vorwürfe wurden durch eine zehntägige Sri-Lanka-Visite des UN-Sonderberichterstatters für Kinder in Konflikten, Allan Rock, im November erhärtet.

Rock warf aber auch der LTTE den unverminderten Einsatz von Kindersoldaten vor. Die Rebellen haben in ihrem jahrzehntelangen Kampf um die Unabhängigkeit Sri Lankas unzählige Kindersoldaten rekrutiert. Unicef registrierte seit Unterzeichnung des Waffenstillstands vor drei Jahren über 5.000 Fälle, wo Kinder von den Rebellen rekrutiert wurden.

Der Waffenstillstand existiert seit Monaten nur noch auf dem Papier. Seit neue Friedensverhandlungen im Oktober scheiterten, werden die Kämpfe immer erbitterter. Zehntausende sind im Osten der Insel auf der Flucht. Über 3.000 Todesopfer forderten die Kämpfe allein in diesem Jahr. Wie viele Kindersoldaten darunter waren, wird man wohl nie erfahren. ANETT KELLER