Glücksfall mit System

Erfolgreicher als Spiegel Online, mehr Klicks als Bild.de: Wie sich ProSieben mit seiner Website eine goldene Nase verdient und gleichzeitig unabhängiger vom TV-Geschäft werden will

VON PEER SCHADER

Katharina ist 18 Jahre alt und möchte Model werden. Auf www.prosieben.de hat sie ein paar Urlaubsfotos und natürlich ein Bikinibild eingestellt. Mit ein bisschen Glück qualifiziert sie sich damit für die zweite Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ auf ProSieben. Etwa 8.000 junge Frauen haben sich online bereits eine „Sedcard“ angelegt.

In den Profil-Gästebüchern stehen Kommentare wie „Hey, find dich richtig hübsch!“ oder „Bist echt was Besonderes!“ Dabei ist bisher noch nicht einmal klar, wann genau die Show losgeht. Doch für Prosieben.de ist „Topmodel“ schon vor dem TV-Start ein Glücksfall. Und zwar einer mit System.

Dieses Jahr sind bei prosieben.de die Klickzahlen explodiert. Im Oktober landete die Website mit rund 530 Millionen Page Impressions (PI), also einzelnen Seitenaufrufen, auf Platz fünf im Ranking der IVW-Online- Statistik, die monatlich misst, wo die Nutzer im Netz am liebsten hinsurfen. Nur T-Online, der Autorubrikenmarkt Mobile.de und die Suchdienste Yahoo und MSN waren stärker (Google wird von der IVW nicht gemessen). 530 Millionen PI bedeutet auch: rund 100 Millionen mehr als Bild.de, über 200 Millionen mehr als Spiegel Online. Im November kamen noch einmal 50 Millionen PI dazu. Es gibt auch andere Zählvarianten im Online-Geschäft: Im Ranking der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (Agof) liegt RTL.de bei den so genannten Unique Users noch vor Prosieben.de – allerdings sind die starken Herbstmonate da noch nicht eingerechnet. In der IVW ist RTL.de längst abgehängt.

Näher ans Format

Das hat einen einfachen Grund: Zum Finale der ersten „Topmodel“-Staffel im März gingen die Klickzahlen rasant nach oben. Dass die neue Staffel nun schon Monate vor dem Start promotet wird, ist Strategie. TV-Events sorgen für „Traffic“ auf der Seite. Bei „Popstars“ war das genauso. Nach den Sendungen haben die Zuschauer im Netz reihenweise Bildergalerien durchgeklickt. Und per Karaoke-Tool konnte jeder Nutzer eine Kostprobe seines eigenen Gesangs hochladen – Prosieben.de verzeichnete dafür etwa 100.000 Anmeldungen. Und eine schaffte es tatsächlich in die Sendung.

„Die Nutzer wollen näher ans Format herankommen und hinter die Kulissen sehen“, erklärt Tobias Oswald, Geschäftsführer von Seven One Intermedia, das Prosieben.de im Auftrag des Senders mit Inhalten füllt und vermarktet. Und sie wollen: mitmachen! In den Anfangsjahren habe eine Senderwebsite wie Prosieben.de gegenüber den Seiten der Zugangsprovider wie T-Online, AOL oder Freenet keine Chance gehabt, sagt Oswald. Das lag freilich auch daran, dass in der Medienkrise und wegen der Kirch-Insolvenz bei ProSiebenSat.1 nicht gerade viel Geld ins Internet gepumpt wurde, weil erst mal das Kerngeschäft saniert werden musste. Jetzt ist das anders. Oswald: „Wenn sich im Web 2.0 die Nutzer gegenüber den Medienanbietern emanzipieren, reden wir über eine Neuverteilung des Marktes.“

In München haben sie erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, die Website eines TV-Senders bloß als Begleitprogramm aufzuziehen. Im Gegenteil: Die Games-Rubrik läuft wie geschmiert und funktioniert als ideales Werbeumfeld für die Hersteller von PC- und Konsolenspielen. Richtig gewachsen ist Prosieben.de aber durch die Kooperation mit dem Messenger-Dienst ICQ, von dem sich eine spezielle ProSieben-Version herunterladen lässt. Beim Start werden Links zu Prosieben.de eingeblendet, deren Klicks in die Statistik eingehen.

In erster Linie funktioniert die Website als Crosspromotion- und Werbeplattform. CD-Werbetextchen sind die Regel, im Shop lassen sich die trendigen „We love“-Klamotten bestellen, und manchmal weiß man nicht so genau, wo die redaktionellen Texte aufhören und die Werbung anfängt. Den Nutzern scheint’s egal zu sein. Wie sich das für Seven One Intermedia genau auszahlt, wird nicht verraten, auf Nachfrage heißt es jedoch, die Erlössituation sei „fantastisch“. 2007 soll ein Drittel des Umsatzes der ProSiebenSat.1 Tochter aus dem Netz kommen, derzeit liegt der Anteil noch bei einem Viertel. Prosieben.de trägt rund 40 Prozent dazu bei.

Mehr als Fernsehen

„Auf dem Weg in die digitale Medienwelt muss eine Marke wie ProSieben breiter positioniert sein als nur als Fernsehsender“, erklärt Oswald im schönsten Vermarkterdeutsch. Das bedeutet: Wenn junge Menschen künftig tatsächlich lieber im Netz surfen als fernzusehen, schöpft ProSieben ebendort einen großen Teil der Aufmerksamkeit ab. Längst profitiert auch das Fernsehen von der Vorbereitung im Netz: „Ich bin mir sicher, dass Online-Inhalte ein TV-Format noch erfolgreicher machen können“, sagt Oswald. Exakt belegen lässt sich das bisher allerdings nicht. Aber das nächste Großprojekt ist schon in Vorbereitung: 2007 startet ein großes „Galileo“- Special.

Eigentlich droht jetzt bloß noch die Konkurrenz aus dem eigenen Haus: Im November lag der von ProSiebenSat.1 gekaufte YouTube-Klon Myvideo.de in der IVW-Statistik zum ersten Mal vor Prosieben.de. Macht nix: Bei so vielen „TV total“-Clips, die man sich bei Myvideo.de derzeit ansehen kann, wird es ProSieben kaum schaden.