Rätselraten über Rücktritt

Nach dem Abgang der kirgisischen Regierung spekulieren Beobachter über deren Motive. Ein Grund könnte sein, Verhandlungen mit IWF und Weltbank zu verzögern

BAKU taz ■ Die kirgisische Öffentlichkeit rätselt über den überraschenden Rücktritt der Regierung des zentralasiatischen Staates. Mit dem Hinweis auf die neue Verfassung, die im November nach mehrtägigen Demonstrationen der Opposition verabschiedet worden war, hatten Premier Felix Kulow und alle Minister am Montag bei Präsident Kurmanbek Bakijew den Rücktritt eingereicht. Mit diesem Schritt wolle er die Reformen des Landes beschleunigen, sagte der Premierminister.

Mit dem Rücktritt ist das Tandem zwischen Kulow, dem starken Mann aus dem Norden, und Präsident Bakijew, der aus dem Süden stammt, offiziell zerbrochen. Seit dem Machtumsturz im März 2005, als der damalige Präsident Askar Akajew von den Tulpenrevolutionären aus dem Amt getrieben wurde, hatten beide Männer das politische Geschehen in dem krisengeschüttelten Land bestimmt. Bis zur Ernennung einer neuen Regierung bleibt die alte geschäftsführend im Amt. Dieser Zustand kann etwas dauern, da unklar ist, wer die neue Regierung bilden darf.

Nach der neuen Verfassung hätte die stärkste Partei in der kirgisischen Volkskammer das Recht, einen neuen Regierungschef zu bestimmen. Dazu müsste aber ein neues Parlament gewählt werden. Das jetzige, das aus der umstrittenen Wahl im Februar 2005 hervorgegangen war, verfügt nicht über eine in der Verfassung geforderte Mehrheitspartei, da es sich aus unabhängig gewählten Einzelpersonen zusammensetzt.

Durch den Rücktritt der Regierung könnte das von der kirgisischen Opposition dominierte Parlament daher zur Selbstauflösung gedrängt werden. Dazu fehlt es bisher jedoch an Vorbereitungen zu Protestkundgebungen, die eine Auflösung der Volkskammer einforderten. Die oppositionellen Abgeordneten widersetzen sich jedoch raschen Neuwahlen. Der Präsident könne eine neue Regierung vorschlagen, solange es kein Parlament mit einer Mehrheitspartei gebe, erklärten sie. „Neuwahlen seien dann im Frühjahr möglich“, sagte Omurbek Tekenbajew, einer der Oppositionsführer.

Gleichzeitig mutmaßte der kirgisische Politiker, dass der Rücktritt der Regierung Kulow nicht mit der neuen Verfassung zusammenhänge. Vielmehr könnten die zähen Verhandlungen über den Beitritt Kirgisiens zur Initiative der Weltbank und des Weltwährungsfonds, Heavily Indebted Poor Countries (HIPC), Kulow zu diesem Schritt getrieben haben, um Zeit zu gewinnen. Mit Hilfe des Entschuldungsprogramms könnten rund ein Drittel der drückenden Schuldenlast in Höhe von knapp 1,5 Milliarden US-Dollar abgeschrieben werden. Jedoch ist der Eintritt Kirgisiens in das nationale Insolvenzverfahren mit strengen Auflagen der Währungsorganisationen verbunden.

Nachdem die kirgisische Regierung am 30. November direkte Verhandlungen mit den Vertretern des IWF und der Weltbank aufgenommen hatte, kam es zu Straßenprotesten. Die politische Elite des Landes kritisierte den geplanten Beitritt. Auch aus Moskau kamen kritische Töne, da die von den USA dominierten Finanzorganisationen einen gewichtigen Einfluss auf das zentralasiatische Land gewinnen würden.

Vier Tage vor dem Rücktritt der Regierung ruderte Kulow zurück und deutete den Rückzug aus dem Entschuldungsverfahren an. Der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond fehlen nun Ansprechpartner. Das wäre eine typische zentralasiatische Lösung eines Problems. Die Verhandlungen wären mit dem Hinweis auf die Regierungskrise verzögert, ohne sie ganz aussetzen zu müssen.

MARCUS BENSMANN