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SCHEITERN UND SHOWGelungenes Leben

Nun sitzen wir da und gucken auf das Urbankrankenhaus

Nachmittagsspaziergang; die mittlere Uferroute; von der Zossener bis zur Admiralbrücke und dann wieder zurück. Kurz hinter der Admiralbrücke sitzt jemand auf einem Stein. Sein Hinterkopf kommt mir bekannt vor. Es ist B., ein alter Freund. Manchmal gehe ich Sonntagabends in seine Kneipe, um das Wochenende in Gesellschaft ausklingen zu lassen.

Nun sitzen wir da und gucken auf das Urbankrankenhaus. Vor drei Jahren war er da mal drin. Mit Schlaganfall. Wie 12.000 in Berlin pro Jahr. Zum Glück nicht ganz so schlimm. Danach hatte er sich von Nikotin und Alkohol verabschiedet. Er hatte noch eine Kollegin gefragt: „Findest du das komisch, wenn ich als Wirt jetzt nicht mehr trinke?“ Sie hatte es gut gefunden. Es sei gar nicht so schwer gewesen; im Krankenhaus war er ja schon automatisch entwöhnt worden. Ich erzähle, wie ich Anfang der 90er mal mit Verdacht auf Gastritis im Urbankrankenhaus gewesen war und seitdem versuche, Stress zu vermeiden. Er berichtet von einem Freund, der vor ein paar Tagen bei der Arbeit an einem Fernsehdrehbuch einen Nervenzusammenbruch erlitt und seitdem im Urban liegt. Ich erzähle Krankengeschichten aus meiner Umgebung und wie man manchmal Angst kriegt, wenn Freunde plötzlich wieder trinken.

In dem Maße, wie das Leben schwerer geworden ist für freie Autoren, Künstler, Journalisten, Therapeuten, hat das Klagen darüber abgenommen. In den sozialen Medien stellen alle ihr gelungenes Leben zur Schau.

B. ist zwei, drei Jahre jünger als ich. Als wir uns kennen lernten, hatte ich noch das Gefühl, jünger als er zu sein. Weil ich doch immer so gerne tanzen gegangen war. Inzwischen fühle ich mich älter als er.

Früher hatte er manchmal hier gesessen und sich vorgestellt, ein Schlauchboot zu besitzen. Und dann mit einem Kasten Bier an Bord am Nachmittag in der Mitte des Urbanhafens zu schaukeln. DETLEF KUHLBRODT

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