Jukebox

Katastrophenprophylaktische Weihnachtsmusik

Die Weihnachtszeit ist eine ambivalente Sache. Behaftet mit romantischen Vorstellungen von Schnee, Plätzchenbacken und weißbärtig verkleideten Nachbarn, hat sie auch eine dunkle Seite: Familienstreite, abgefackelte Tannenbäume und tieffrustrierte Menschen. Schuld ist das Weihnachtsgrauen. Bereits Anfang Oktober schleicht es sich glöckchenklingelnd an unschuldige Stadtspazierer, Radiohörer und Fernsehgucker heran, um im Dezember in Form von Jingle-Bells-Dauerloops zu Hochtouren aufzulaufen. In diesem Jahr hat das Grauen vor allem ein Gesicht: das von Heidi Klum. Ruhigbleiben fällt schwer, kreischt einem das piepsige Stimmchen doch allerorten euphorisch „Wonderland, Wonderland“ entgegen. Es muss psychologische Tricks geben, die einen selbst bei derart verhasstem Weihnachtskitschgejohle versehentlich mitklatschen lassen. Hinterher schämt man sich und lässt den Ärger an anderen aus. Da „die Musikindustrie“ zu abstrakt für Kompensationsstreite ist, wendet man sich instinktiv an die Familie oder die besten Freunde. Bis zum brennenden Tannenbaum und heulenden Geschwistern ist es von da an nicht mehr weit. Doch es gibt eine Lösung: Die kleine feine Platte Santa Monika. Sie erschien 1999 auf dem Berliner Label Monika Enterprise mit einer großen Mission: Wham! („Last Christmas“), den Pointer Sisters („Santa Claus is coming to town“) und José Feliciano („Feliz Navidad“) zu zeigen, dass Weihnachtsmusik auch wirklich schön sein kann. Santa Monika versammelt 24 Songs, auf die Begriffe wie besinnlich und heimelig tatsächlich zutreffen. 24 unterschiedliche Künstler zeigen auf diesem Album, wie Winter und Weihnachten für sie klingen. Es gibt zuckersüße Glöckchen, sanfte Chöre, akustische Gitarren, aber auch schräge Trompeten und Gesänge, scheppernde Schlagzeuge und knispernde Computersounds. Texte wie „Schneeflocken sind verzauberte Krankenschwestern, dachte ich gestern. Sie tanzen um mich im Kreis, sie geh’n zur Arbeit in weiß“ von Wachtel Optimal rühren Herzen an, ohne triefig sentimental überladen zu wirken. Selbst wenn sich Rank in dem Stück „Shell Luck“ Ave Maria vornehmen, klingt das nicht nach roten Kerzen auf grünen Tannenästen in Weichzeichneroptik. Und wenn Klaus Beyer in „2000 Jahre Weihnachten“ mit schiefem Gesang und rumpeligen Reimen der Frage nachgeht, woher der Name „Weihnachten“ kommt, ist auch die letzte Weihnachtsaggression verflogen.

Veronika Wallner