Philipp Mausshardt über KLATSCH
: Macht zu die Tür

Mein Nachbar, Europas größter Spediteur, wird Weihnachten im Gefängnis verbringen. Ich zünde ihm ein Kerzlein an

Für mich bleibt er „Willi der Große.“ Fuhr ich mit der Linie 4 in die Stadt, sah ich auf dem Weg zur Schule aus dem Busfenster gleich hinter der Roannerstraße den Parkplatz mit den vielen Lastwagen. Alle waren blau lackiert und hatten eine gelbe Plane. Willi Betz stand darauf. Willi mit i. Eigentlich hieß er ja Wilhelm, sagte meine Mutter, die ihn noch kannte, als er mit seinem ersten Lastwagen von der Schwäbischen Alb Bauholz in die Stadt brachte. Ein Lastwagen mit Holzvergaser. Meine Mutter glaubt bis heute, Wilhelm (Willi) habe ihn gestohlen, sich jedenfalls irgendwie auf dunklen Wegen kurz nach dem Krieg von den Franzosen „beschafft“.

Auf meinem Schulweg konnte ich über die Jahre beobachten, wie der Parkplatz vor dem Speditionsgebäude der Firma Willi Betz immer größer wurde. Immer mehr Lastwagen mit Willi-Aufschrift kurvten hier herum, und wo immer wir auch in den Urlaub hinfuhren, wir zählten unterwegs, wer die meisten Betz-Laster entdeckte. Willi war einer von denjenigen, denen die Stadt Reutlingen ihren Ruf als „Stadt der Millionäre“ verdankte. Von der Buslinie vier sah ich täglich das hässliche Wohnhaus, eingeklemmt zwischen den Bahnschienen und dem Lkw-Parkplatz. So also wohnen Millionäre, dachte ich.

Eines Tages stand kurz nach Weihnachten ein dicker S-Klasse-Mercedes vor dem hässlichen Haus und meine Mutter sagte, den habe Willi nicht gestohlen, sondern von Herrn Zahn zum Fest der Liebe geschenkt bekommen. Joachim Zahn war Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz. Und Willi Betz kaufte nur Mercedes-Laster. Mehrere tausend. Bis heute. Wobei Willi im Moment gar nichts mehr kauft, er hat sich zur Ruhe gesetzt und sein Sohn Thomas kann gerade nichts kaufen, er sitzt seit über einem Jahr im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim als Untersuchungshäftling. Weil er sich dort langweilte, bügelte er auch schon in der Gefängniswäscherei die Hemden seiner Mitgefangenen.

So, wie ich ein Rädchen Lyoner beim Metzger bekam, wenn meine Mutter zwei Kilogramm Schweinebraten kaufte, so bekam Willi eben einen Mercedes als Dreingabe, wenn er hundert Lastwagen kaufte. Mir kam das auf meinem Sitzplatz im Bus völlig logisch vor.

Kürzlich besuchte ich einen Fortbildungslehrgang bei einer großen deutschen Hilfsorganisation. „Verhalten im Ausland“ wurde geübt. Der Trainer erklärte den unerfahrenen Teilnehmern unter anderem auch, wie man Beamten im Ausland notfalls mit Schmiergeld auf die Sprünge hilft, wenn sie sich stur stellen. Wir übten, das Schmiergeld unauffällig in einer Zigarettenschachtel zu überreichen. Es ginge in manchen Ländern eben nun mal nicht anders.

Der Trainer muss diejenigen Länder gemeint haben, in die Willi Betz oft gefahren ist. Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Bulgarien. Dort muss man als Geschäftsmann erst etwas herschenken, um dann etwas mitnehmen zu dürfen. Bei Siemens versteht man, von was ich rede. Schmiergeld oder Bestechung sind sehr hässliche deutsche Wörter für einen in großen Teilen der Welt praktizierten normalen Geschäftsvorgang. Bakschisch klingt doch gleich viel schöner als Korruption. Bakschisch klingt nach Weihnachtsplätzchen.

Thomas Betz wird nun schon das zweite Weihnachten hintereinander im Gefängnis verbringen. Vor zwei Tagen hat das Landgericht Stuttgart eine Haftverschonung für den Untersuchungshäftling abgelehnt. Wegen angeblicher Fluchtgefahr. Thomas Betz, 48, ist angeklagt, Weihnachtsplätzchen in Georgien verteilt zu haben.

Ich werde ihm ein Kerzlein an meinem Weihnachtsbaum widmen, den ich wie jedes Jahr im „Schönbuch“, einem Waldgebiet gleich hinter meinem Haus, stehlen werde. Mir kommt das herzlos vor, einen Familienvater nicht über die Weihnachtstage nach Hause zu lassen. Bestimmt darf der Sohn dieses Richters beim Metzger auch kein Wursträdchen annehmen.

Fragen zu Willi? kolumne@taz.de Nächste Kolumne 28. 12. DIE LANDMÄNNER