die taz vor zehn jahren zu samuel huntingtons bestseller „kampf der kulturen“ – und reale kulturkämpfe
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Besonders vor dem Islam, so Huntington, muß sich der Westen hüten. Denn der Muslim sei auch in der nichtfundamentalistischen Version von der „Überlegenheit seiner Kultur und der Unterlegenheit seiner Macht besessen“. Außerdem setze er mehr Kinder in die Welt.

Huntington sieht Religion als eine prägende Kraft bei der Schaffung seiner Kulturblöcke – und er fürchtet sie völlig zu Recht als Politikersatz und als Droge gegen Modernisierungsängste. Doch er fabriziert aus diesen Gedanken lieber ein neues „Reich des Bösen“, anstatt Phänomenen wie religiösem Fundamentalismus auf den Grund zu gehen. Hätte er Letzteres versucht, wäre er unweigerlich im eigenen Garten gelandet. Soll heißen: Im amerikanischen Teil der westlich-christlichen Zivilisation. Religiöser Fundamentalismus hat hier ebenso Einzug in die Politik gehalten wie in vielen islamischen Ländern.

In beiden Fällen ist der Feind zuallererst nicht die „andere“ Kultur, sondern der säkulare Staat. Dieser Antagonismus fällt nicht vom Himmel, sondern resultiert aus einer Krise des Staates. Islamische Fundamentalisten in Algerien oder in der Westbank sind nicht populär geworden, weil sie im Koran Anweisungen für den Kampf der Kulturen suchen, sondern weil sie soziale Versorgungsnetze errichteten, die der Staat nicht bieten wollte oder konnte.

Christliche Fundamentalisten in den USA haben politischen Einfluß nicht mit ihren Tiraden gegen Ungläubige gewonnen, sondern mit einer dezentralen Mobilisierung gegen Steuern, öffentliche Schulen und einen Staat, der in den Augen vieler Bürger keinen Schutz vor der rasanten Globalisierung der Wirtschaft mehr bietet. Daß in solchen Krisen religiöse, ethnische oder nationalistische Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt, ist wirklich nicht neu. Daraus die Unausweichlichkeit eines Kampfes zwischen Kulturen zu konstruieren, ist hanebüchen.

Andrea Böhm taz vom 24. 12. 1996