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Boykott mit zwei Kreuzen

SCHULREFORM Gewerkschaft, Elternkammer, Grüne und Linke protestieren gegen neue Gymnasialempfehlungen. Eltern und Lehrer sollen sabotieren

Gerasterte Schüler

Elf verschiedene Qualifikationen sollen zukünftig in der vierten Grundschulklasse bewertet werden. Begutachtet werden etwa Konzentrationsfähigkeit, selbstständiges Lernen, Kommunikationskompetenz und Textverständnis.

■ Fünf Stufen umfasst die notenfreie Bewertungsskala – von sehr schwach über mittel bis sehr stark ausgeprägt.

■ Kritik an dieser Auswahl übt die Elternkammer: Im Kompetenzraster würden „praktische und kreative Begabungen keine Berücksichtigung finden“.

Ein Kreuz für eine große Zukunft – oder eben auch nicht. Weil Neu-Schulsenator Dietrich Wersich (CDU) die Schullaufbahnempfehlung in der vierten Grundschulklasse durch die Hintertür wieder eingeführt hat, empören sich die Gewerkschaft GEW, Elternkammer, Linke und Grüne. Sie werfen Wersich vor, das Schulgesetz auszuhebeln, den Elternwillen auszuhöhlen und die neuen Stadtteilschulen systematisch auszubremsen.

In einem Schreiben fordert Wersich die Grundschulleitungen auf, im Zeugnis der vierten Klasse eine Empfehlung für das Gymnasium oder die Stadtteilschule anzukreuzen. „Pädagogischer Unsinn“, schimpft GAL-Bildungspolitiker Michael Gwosdz, während die Fraktionschefin der Linken, Dora Heyenn, dadurch „ein Abitur erster und zweiter Klasse“ zementiert sieht.

Klar war in der beendeten schwarz-grünen Koalition laut Gwosdz, dass die Eltern von den KlassenlehrerInnen eine mündliche Schullaufbahnempfehlung für ihr Kind erhalten, ein Kompetenzraster im Zeugnis zudem auch für die neue Schule darüber Aufschlüsse liefert, ob das Kind gymnasialtauglich ist. Die Schulform-Empfehlung aber sollte abgeschafft werden.

Die Zweiklassen-Empfehlung deklariere die Stadtteilschule zur Resteschule, mit verheerenden Folgen für die Anmeldezahlen, glaubt Heyenn. Wersich dagegen hofft, dass Eltern, deren Kind als nicht gymnasialtauglich eingestuft wird, dieses an der Stadtteilschule anmelden, statt es am Gymnasium zu überfordern.

Um die Wersich-Empfehlung auszuhebeln, empfiehlt die Elternkammer ihren Mitgliedern, die Empfehlungsbögen an der weiterführenden Schule einfach nicht vorzuzeigen. Problem dabei: Eltern von Kindern mit Gymnasialempfehlung werden diese Trumpfkarte kaum im Ärmel lassen, wenn sie ihr Kind an einem Gymnasium anmelden, das so beliebt ist, dass es sich seine SchülerInnen quasi aussuchen kann. Wer die Empfehlung nicht vorlegt, bringt sich dann möglicherweise in den Verdacht, Gründe dafür zu haben.

Die GAL ermutigt GrundschullehrerInnen einfach beide Felder anzukreuzen – das für die Stadtteilschul- und das für die Gymnasialempfehlung. So würden die PädagogInnen dem Wersich-Erlass „Genüge tun“, ihn aber gleichzeitig boykottieren. Alles ein Streit um Kaisers Bart, findet Ties Rabe, schulpolitischer Sprecher der SPD. Warum in Klasse 4 die Kompetenzen der Schüler exakt bewertet, die „finale Frage“ nach der geeigneten Schullaufbahn aber „nicht beantwortet werden“ soll, leuchtet Rabe nicht ein. MARCO CARINI

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