Die Extase aus Whoopataal

Die bergische Stadt sendet seit Jahrzenten ihren Sound in die Jazzmetropolen der Welt. Eine Ausstellung und ein Buch würdigen die Musiker und Songs aus Wuppertal. Die Gruppe um Han Bennink und den britischen Saxofonisten Evan wirkt bis heute

VON HOLGER PAULER

Der Titel verwirrt und macht neugierig: „Sounds like Whoopataal“. Dies ist das Motto für die aktuelle Ausstellung und das Buch zur Jazz-Geschichte der oberbergischen Stadt. Say it in broken english: „Whoopataal“ stellte die US-Amerikaner am 1. Oktober 2002 vor eine unlösbare Aufgabe. In New York, der ewigen Metropole des Jazz, gedachten mehrere hundert Menschen dem Wuppertaler Kontrabassisten Peter Kowald – Musiker und Fans. Kowald war zehn Tage zuvor, am 21. September, in der Wohnung seiner musikalischen Freunde Patricia und William Parker verstorben – nach einem Konzert, an Herzversagen.

Peter Kowald stand für Wuppertal, für den Sound der Stadt, den er und seine Musikerfreunde seit den 1960er Jahren ins „Global Village“ sendeten. Die Wurzeln des europäischen FreeJazz, der frei-improvisierten Musik, lagen im Bergischen. Und die Gäste des Memorials wussten es. Zig mal ging ihnen das Wort „Whoopataal“ über die Lippen.

Seit den Nachkriegsjahren entwickelte sich Wuppertal zu einer Marke in der bundesdeutschen Jazzszene – und wirkte weiter: In benachbarte Regionen, ins Ausland, sogar in die ehemalige DDR. Herausgeber Dieter Fränzel bemüht sich um einen Blick über die musikalischen, geografischen und politischen Grenzen hinaus.

Im Mittelpunkt stehen natürlich der Saxofonist Peter Brötzmann oder der Gitarrist und Instrumentenerfinder Hans Reichel. Brötzmann, in Remscheid geboren und mittlerweile zwischen Chicago und dem Rest der Welt unterwegs, startete von Wuppertal aus die Revolution des europäischen Jazz. Mit seinem Oktett um Kowald, den niederländischen Schlagzeuger Han Bennink oder den britischen Saxofonisten Evan Parker spielte er 1968 das legendäre Album „Machine Gun“ ein. Hardcore Freejazz, Saxofone, die wie Maschinengewehrsalven klangen und die Jazzwelt erschütterten. Danach war alles anders. Das Netzwerk wirkt bis heute weiter.

1964, als der legendäre Charles Mingus das bergische Land bereiste, zeichnete Brötzmann das Plakat zum Wuppertaler Konzert und druckte es unter Mithilfe mehrerer Kästen Bier auf seiner Lithopresse im heimischen Keller.

Begonnen hatte alles in den 1930er Jahren. Swing lockte in die Tanzcafés und Varietés. Der Banjospieler Rudi Anhang wuchs in dieser Atmosphäre auf. Nachdem 1933 der Jazz zur entarteten Musik erklärt wurde, bekam Anhang, wie alle jüdischen Musiker von der Reichsmusikkammer, ein Berufsverbot auferlegt. 1936 floh er ebenso in die Emigration wie der Klarinettist Ernst Höllerhagen – einer der Stars der deutschen Jazz-Szene. Höllerhagen ging in die Schweiz. Der gebürtige Barmer wurde nach dem Krieg schließlich Mitglied des Hazy Osterwald Orchesters. Er begleitete den Kriminaltango und den US-Saxofonisten Coleman Hawkins.

Wolfgang Sauer, der blinde Pianist und Sänger, widmete sich nach dem Krieg den Chansons, dem Volkslied und wurde durch zahlreiche Fernseh-Auftritte einem breiten Publikum bekannt. 1949 hatte er sich der No Name Band angeschlossen. Der junge Journalist Johannes Rau berichtet in der Lokalzeitung über ein Konzert der Band und schreibt von „drei Stunden Ekstase“.

Und heute? Peter Brötzmann hat seinen Wohnsitz mittlerweile nach Chicago verlegt. Andere sind verstorben oder ebenfalls weitergezogen. Nur das Label „Free Elephant“, angelehnt an den Elefanten, der aus der Schwebebahn in die Wupper stürzte, widmet sich der frei-improvisierten Musik. Damit sie niemand vergisst. Brötzmann und vor allem: Peter Kowald.

„Sounds like Whoopataal“, 256 Seiten, Klartext Verlag, Essen 2006 Ausstellung zum Buch: Sparkassenforum Wuppertal-Elberfeld, noch bis zum 12. Januar 2007