„Diese Leute kennen die Gefahr“

RIESENDING Der verunglückte Höhlenkundler Johann Westhauser wird wohl gerettet. Warum er überhaupt da reingeklettert ist, weiß die Geologin Carola Küfmann

■ lehrt an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Geografie und Landschaftsökologie. Sie forscht mit Johann Westhausers Gesteinsproben.

INTERVIEW LISA SCHNELL

taz: Frau Küfmann, Sie kennen den Höhlenforscher Johann Westhauser persönlich. Was treibt ihn in die gefährlichste Höhle Deutschlands?

Carola Küfmann: Er und sein Team sind Pioniere, die Neuland erkunden. Höhlenkundler sind keine wissenschaftlichen Höhlenforscher. Sie betreiben die Erforschung als Hobby und sind Entdecker. Sie wollen einfach wissen: Wie sieht es da unten aus?

Haben die Expeditionen sonst keinen Nutzen?

Doch, natürlich. Durch ihre Leidenschaft tragen Höhlenkundler zu vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen bei, indem sie etwa Proben von Wasser und Sedimenten nach oben bringen. Denken Sie nur an die Archäologie. Ohne die Erforschung von Höhlen hätten wir die Knochenüberreste des Neandertalers nicht gefunden. Weil in der Höhle ein konservierendes Klima herrscht, das Knochen sehr gut erhält, konnten Archäologen Erkenntnisse über die Entwicklung des Menschen erlangen.

Aber in der Riesending-Höhle mit ihren steilen Wänden werden früher doch keine Menschen gewohnt haben, oder?

Nein, diese Höhle hat Menschen bestimmt nie als Schutz gedient, sie ist ohne die heutige Top-Ausrüstung unerreichbar. Sie ist aber unter anderen Aspekten sehr interessant. Am Untersberg, in dem die Riesending-Höhle liegt, entspringt die Fürstenbrunner Quelle, die Haupttrinkwasserversorgung für die Stadt Salzburg. Uns interessiert, wie sammelt sich das Wasser im Untergrund, wie bewegt es sich und wo kommt es zu Tage? So kann man herausfinden, wie die Quelle auf Niederschläge reagiert, ob es bei Trockenheit überhaupt genügend Wasser gibt. Dazu muss aber erst mal der Untergrund, also die Höhlen, vermessen werden. Genau das versucht das Team von Herrn Westhausen. Auch auf die Gesteinsproben, die sie uns mitbringen, sind wir angewiesen.

Warum?

Mit ihnen kann ich Aussagen über das vergangene Klima treffen. Wie warm war es vor tausenden von Jahren und vor allem wie feucht? Je dicker die Tropfsteinschicht ist, desto mehr hat es geregnet. Das ist für alle Menschen heute relevant, wenn es um den Klimawandel geht. Wenn wir wissen, wie schnell sich das Klima ändern kann und welche Veränderungen es in bestimmten Regionen gibt, können wir Aussagen über das Klima der Zukunft treffen.

Die Wissenschaft ist also darauf angewiesen, dass Menschen ihr Leben für sie riskieren?

Nein, nicht dass Menschen ihr Leben riskieren, sondern dass es Menschen gibt, die als Pioniere in die Höhlen gehen. Wir als Wissenschaftler sind in der Regel dafür nicht ausgebildet. Somit können wir auch ohne Höhlenkundler nichts über das Innere im Untersberg erfahren. Es ist eine Gilde, die über extreme sportliche Qualitäten verfügen muss, um die Anstrengung bewältigen zu können. Wir können das als Wissenschaftler nicht leisten.

Wie fühlen Sie sich dann, wenn so ein Unfall passiert?

Das Gefühl ist schrecklich – wir sind wie erstarrt und bangen mit. Aber es ist wie bei jedem riskanten Hobby. Die Leute sind keine Laien, sie kennen das Gefahrenpotenzial. Normaltouristen sind Höhleneingänge wie der der Riesending-Höhle überhaupt nicht bekannt. Die genauen Koordinaten kennen nur Personen der Höhlenkundevereine. Dieser Unfall ist in der Geschichte der Höhlenerforschung statistisch ein sehr seltenes Ereignis.