Was tun?

Eigentlich sind’s ja nur drei Tage – danach gibt’s doch gleich wieder Sinnvolles zu tun, z. B. Sekt und Böller einkaufen. Aber diese drei Tage: immer zu viel oder zu wenig, zu weit weg von oder zu nah dran an Berlin. Sieben Tipps gegen die Weihnachtskrise

SCHLAFEN

Ich fahre über Weihnachten nach Hause. Ich frage mich immer wieder, warum ich fahre. Habe viel zu viel Stress vorab, und dann muss noch eingekauft werden. Der Advent bringt nur Mehrarbeit für alle, für Käufer, Verkäufer und Weihnachtsfeierfeierer. Wenn ich aber daheim bin, weiß ich, warum ich gefahren bin: um zu schlafen.

Von den Eltern wird man kurz über die Nachbarn informiert, über Tote, Scheidungen, entlaufene Hunde. Dabei nickt man ein. Dann geht man schlafen. Man erwacht anderntags spät, darf das hier, ist Kind und muss es bleiben. Die Eltern zeigen freundlich Mitleid. Nach dem Frühstück aufs Sofa, Provinzzeitung lesen – absolut ermüdend. Schnell schlafen. Erwacht man, ist Kaffeezeit. Der Kaffee ist dünn. Das ist rücksichtsvoll, schon liegt man wieder auf der Couch, schnarchend. Dann erhebt man sich noch mal kurz, müde vom Schlafen, schaut schläfrig fern, doch auch das Fernsehen weckt einen nicht. Rasch schleppt man sich ins Bett. So geht das drei Tage lang. Nach dieser Kur ist man geheilt und kann zurück ins Leben.JÖRG SUNDERMEIER

ALLERGIEN ENTWICKELN

Um Weihnachten herum vertreibe ich mir gern die Zeit mit Wissenschaft. Da meldet sich nämlich immer meine Haselnussallergie. Das kommt von der vielen Schokolade, die „produktionsbedingt Spuren von Nüssen enthalten kann“. Eine irritierende Aussage: Fallen bei der Schokoladenproduktion andauernd dreckige Haselnüsse aus Versehen in die Conche? Bin ich pingelig, wenn ich erwarte, dass man die Bottiche zwischendurch mal auswischt? Andererseits bin ich stolz auf diese sehr urbane Reaktion. Es zeichnet einen als Städterin aus – auf dem Land gibt es weniger Allergien, weil Landkinder im Schweinestall Schmutz inhalieren und von der Bäuerin bis ins hohe Alter gestillt werden.

Noch städtischer ist meine Freundin, der außer Latex und Sperma alles Schnupfen verursacht, was es gibt. Der Jahreszeit angemessen hat sie seit Anfang des Monats eine Kerzenallergie entwickelt. Ich vermute jedoch, dass das auf der psychosomatischen Ebene angesiedelt ist und sich eher auf die Kerzenformen bezieht. Das erste Mal, so erzählte sie, habe sie auf eine Dicker-Engel-Kerze reagiert. Das Wichtelgeschenk einer Arbeitskollegin, einer Duftkerze der Note „Christstollen“, habe eine Steigerung hervorgerufen. Wie zum Beweis meiner Theorie erklärte sie mir das alles, während sie beschwerdefrei eine gemeine Teekerze anzündete. Analytikerin, die ich bin, setzte ich sogleich die Versuchsanordnung für einen „Provokationstest“: Bei meinem nächsten Besuch rieb ich ihr bei der Begrüßung unangekündigt eine Bienenwachskerze ins Gesicht. Tatsächlich entstand eine Reaktion. Leider nicht die erwünschte. JENNI ZYLKA

SCHNEEFREI EMPFANGEN

Das beste Weihnachten, seit ich der Kinderstube entwachsen bin, habe ich völlig vergrippt im Bett verbracht und mir dabei alles angeschaut, was lief. Koreakriegsfilme, Märchenzeugs aus der CSSR und lahme Klamotten mit Jerry Lewis. Vielleicht wäre alles nicht so dolle gewesen, wäre nicht auch, hübsch über die drei Feiertage verteilt, „Der Pate“ gelaufen. Dreimal großes Kino im kleinen Nordmende über jeweils drei Stunden, dreimal mehr Lebensratschläge und große Gefühle als bei der eigenen pickeligen Verwandtschaft. Dabei handelt „Der Pate“ von nichts anderem als der Familie.

Auch diesmal laufen gute Filme. Heilig Abend kommen „Out of Sight“ (mit King George!) und „The Frighteners“ (von Peter Jackson!) auf RTL. Danach kann man sich noch „23“ (auch gut!) auf Arte geben. Außerdem laufen: „Mary Reilly“, Stokers „Dracula“, „American Psycho“, „Vertigo“, „Herr der Ringe 1“ und „Die Wutprobe“. Nur „Der Pate 1–3“ läuft nicht. Für Liebhaber der Dreifaltigkeit gibt es aber Trost: „Stirb langsam“ mit dem unschlagbaren Bruce Willis. Geiles Hochhausgemetzel inklusive Unmengen von wahllos durch die Gegend geschossenen Bleikugeln, Leichen en masse und ein Superheld, der bis zum Schluss das Beste gibt. Natürlich kein Vergleich zur Tragik der patriarchalen Gesellschaft, wie sie in „Der Pate“ abgebildet wird, aber immerhin. Blut spritzt auch da. RENÉ HAMANN

ALLERLEI TUN

„Wer der großen Weihnachtsbesinnlichkeit noch mal kurz ins Gesicht spucken will, ist hier gut aufgehoben“, schrieb der 103 Club aus der Falckensteinstraße über seine Technoveranstaltung gestern. Es gibt aber keinen Grund für derlei grobes Verhalten! Die Weihnachtstyrannei ist böse – doch die kleine Weihnachtsbesinnlichkeit ist ein schönes Sensibilisierungsprogramm. Außerdem hat, wer sich freitags wegschießt, am Samstag ein schlechtes Gewissen und ist Sonntag dann verkitscht.

Stattdessen sollte man lieber auf den Wogen der Besinnlichkeit morgen, Heiligabend, um zwölf irgendwohin gehen, wo es sehr laut ist, versuchen, nett zu gucken, sympathischen Zufallspersonen Bier oder Ähnliches zu spendieren, Zigaretten, leichte Drogen und Alkohol in Maßen zu konsumieren, nach zweieinhalb Stunden am besten zu Fuß nach Hause zu gehen und am nächsten Vormittag die Jungle World von hinten nach vorn zu lesen. Schach oder Sauna ist auch super, oder einfach so tun, als würde man in Echt gar nicht in Berlin wohnen. Hilfreich dabei ist es, Orte zu ignorieren, an denen man schon öfter als dreimal war. Außerdem sollte man Geschäfte und öffentliche Verkehrsmittel meiden. DETLEF KUHLBRODT

INGENIEURE BEWUNDERN

Wer Weihnachten weit weg von Berlin in der Pampa, im Dorf in der tiefsten Provinz, verbringt, der leidet die erste Zeit nach der Ankunft im Nix unter dem geistigen Unterdruck einer extremen Entschleunigung. Dem kann man nur durch vermehrte Bewegung begegnen. Das heißt: Supermärkte in den Gewerbegebieten abfahren, neue Umgehungsstraßen besichtigen und gigantische Kreisverkehrsanlagen in einstmals abgelegenen Dörfern – also: sich an der Ingenieurskunst erfreuen. Am ersten Weihnachtsfeiertag bietet sich nach dem obligatorischen nachmittäglichen Kaffeetrinken ein besinnlicher Spaziergang durchs Neubaugebiet an.

Man steht und staunt, bewundert neue Dachgaubenmoden und Garagentortrends und erfährt durch die Beschilderung, dass es der einstige Schulbanknachbar aus der Grundschule zum marktführenden Bauunternehmer am Ort gebracht hat. Allein die Abende sind schwierig. Man bleibt also besser zu Hause, liest russische Familienromane, schaut alte Fotoalben durch, hört SWR 3, wo immer noch, wie vor fünfundzwanzig Jahren, Dire Straits und Phil Collins gespielt werden, und freut sich auf die Heimfahrt und das liebe, lebendige Berlin. CHRISTIANE RÖSINGER

VERBEN ÜBEN

Weil ich zurzeit unglücklich verliebt bin, wird Weihnachten noch schwerer als sonst, wenn ich mich nur über die „an Weihnachten“-Sager ärgern muss, weil es „zu Weihnachten“ oder einfach „Weihnachten“ heißt. Es gibt nicht viele Mittel gegen Liebeskummer, aber diesmal hat mir der Seneca-Kurs geholfen (ich will die Uni nicht ohne Latinum verlassen). Latein hilft der Seele, weil es nichts mit ihr zu tun hat. Man brütet über Satzrätseln und genießt kleine Erfolgserlebnisse. Weihnachten werde ich mit „Flexio“ verbringen, meinem Formentrainingsprogramm für den Computer. Flexio stellt viele Fragen, ich versuche sie ihm zu beantworten: „parere?“ „pario, peperi, partus – gebären.“ „tangere?“ „tango, tetigi, tactus – berühren.“ „cupere?“ „cupio, cupivi, cupitum – begehren.“ Und wenn es abends in der Kirche heißt: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, dann werde ich eine kleine Befriedigung genießen, weil ich weiß, dass es im Original: „Gloria in altissimis Deo et in terra pax in hominibus bonae voluntatis“ heißt, also nichts mit „Wohlgefallen für alle“, sondern nur „den Menschen seines Wohlgefallens“.

Das bringt mich der Frau zwar auch nicht näher, aber das würde auch nichts anderes tun.JOCHEN SCHMIDT

NÜSCHT

Weihnachten sollte man am besten alleine sein und gar nichts tun. Stattdessen möglichst still zu Hause sitzen und bloß niemandem auf die Nerven gehen. Weihnachten ist nämlich das Fest der Liebe, und Liebe wird am ehesten dadurch bewiesen, dass man die Mitmenschen einfach mal in Frieden lässt mit seiner unangenehmen und lästigen Dauerpräsenz.

Die kriegen sonst irgendwann echt noch zu viel.

Genau darüber kann man Weihnachten dann mal endlich so richtig in aller Ruhe nachdenken. Weitere Vorschläge: In den Fernseher hineingucken oder aus dem Fenster heraus – zusehen, was da alles nicht passiert; den Küchenboden fegen; ein paar gekaufte Plätzchen (Aldi!) essen, denn geschenkt hat man keine bekommen. Von wem auch? Ist doch keiner da. Ein wenig weinen ist ebenfalls in Ordnung. Weinen erleichtert vieles. Auch das Wissen, dass man sich die ganze Suppe (Aldi!) im Grunde selbst eingebrockt hat. Wenn man nämlich nicht auf Ratschläge wie diesen gehört hätte, könnte man irgendwo hammermäßig einen auf Larifari-Trulala machen und das Christkind eine gute Transe sein lassen. So allerdings nicht. ULI HANNEMANN