erzählte geschichte 2
: Die Eichhörnchen von Schönbrunn

Schau nur, da kommt es auf mich zugehoppelt. Im Zickzackkurs hüpft es durch Raureif und buntes Laub, ein keckes, braunes Eichhörnchen mit buschigem Schwanz. Jetzt verharrt es, richtet sich auf, verschränkt die Arme und guckt mich mit nussbraunen Knopfäuglein neugierig an.

Dann beschließt es, weiter auf mich zuzuspringen. Erst einen halben Meter vor meinen Füßen stoppt es ein weiteres Mal und guckt mich fordernd an, als wolle es fragen: Ey Alda, jetz mal her mit de Nüss! Als ich mich noch immer nicht bewege, hüpft Freund Eichhorn auf meinen rechten Schuh und reckt seine mit rotbraunen Pelzhandschühchen umhüllten Vorderpfötchen hoch bis zu meinen Knien und macht mit seinen Rehaugen einen auf Dackelblick.

Ich reagiere nicht, und etwas angenervt versucht das Eichhörnchen an meiner Jeans hinaufzuklettern in der Hoffnung, dort oben noch die ein oder andere Nuss oder Eichel zu finden. Der knuffige Nager scheitert und rutscht, sosehr er sich in den Jeansstoff meiner Hose festzukrallen bemüht, ab und landet auf meinem Schuh.

Das ist schnell erklärt, denn der kleine Eichhorn ist etwas moppelig. Jetzt, wo er beleidigt auf meinen Schnürsenkeln sitzt und mit seinen süßen Knopfäuglein pikiert in die meinen hinaufschaut, sehe ich es. Wo man immer denkt, es sei das flauschige Fell, das die zierliche Figur aufbausche, ist es hier wohl eher das Tier selbst, das aufgebauscht ist. Kurzum: Freund Eichhorn hat ein Gewichtsproblem.

Angewidert von meiner Fütterverweigerung würdigt mich der liebreizende Nager nun keines Blickes mehr, sondern stößt sich von meinem Fuß ab, klatscht bäuchlings ins Laub und hoppelt moppelig auf eine Oma zu, die nebenan verzückt im Laub sitzt und im Schoße mit einem Tütchen Nüsschen raschelt.

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, heißt es, doch gilt diese Weisheit nicht für die putzigen Nagetiere im Wiener Schlosspark Schönbrunn. Nirgends ernährt sich das Eichhörnchen mit weniger Mühe als hier, denn hier wird es ernährt. Heerscharen von Adventsspaziergängern mästen die possierlichen Tiere tagein, tagaus mit Nusswerk und Krumen, als gelte es, polnische Weihnachtsgänse in Rekordzeit zur Schlachtreife zu führen. Nicht wenige Exemplare sind so überernährt, dass sie sich nur noch mit Mühe auf die Bäume hinaufquälen können, und immer wieder passiert es, dass beim Klettern der hohe Cholesterinwert zu Herzinfarkten führt oder beim Springen von Ast zu Ast schlicht die Schwerkraft ihren Blutzoll fordert, weil mancher besprungene Zweig bricht wie dünnes Eis unter einer dicken Kuh. Mit zerschmetterten Gliedern liegen pummelige Eichhörnchen dann tot im Laub und verstopfen die Laubsauger der Gärtnerkolonnen.

Schon gelten die Eichhörnchen von Schönbrunn bei Eingeweihten als lästige Schweifratterln, und an sonnigen Dezembertagen sitzt Georg Kreisler im Schlosspark und singt mit Inbrunst das Lied vom Eichhörnchen-Vergiften im Park.

Ausgedacht und aufgeschrieben für die Brauseboys von Volker Surmann