Ein zäher Fall: Es geht nicht vor und nicht zurück

WIKILEAKS Seit zwei Jahren sitzt Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London. Im Verfahren gegen ihn bewegt sich so gut wie nichts. Die Staatsanwaltschaft in Stockholm macht auf stur. Der Vorwurf der Vergewaltigung würde erst im Jahr 2020 verjähren

Warum wird Julian Assange nicht von der britischen Polizei in London vernommen?

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Wenn es nach der schwedischen Staatsanwaltschaft geht, dann ist Julian Assange derzeit kein Thema. Einen Kommentar dazu, dass sich der Wikileaks-Gründer seit zwei Jahren in der Botschaft Ecuadors in London aufhält, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, will Staatsanwältin Marianne Ny nicht abgeben. Sie verweist nur auf die Internetseite der Anklagebehörde.

Dort (www.aklagare.se/In-English/Media/The-Assange-Matter/) ist die Rubrik „Der Fall Assange“ seit bald zwei Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Die letzte Notiz im Zusammenhang mit Assange lautet trocken: „Da sich die Botschaft Ecuadors auf britischem Boden befindet, ist dies eine Angelegenheit der britischen Behörden.“ Im Übrigen wird betont, dass der Aufenthalt von Assange „keine Auswirkungen auf die strafrechtlichen Ermittlungen in Schweden“ habe. Ein neue Stellungnahme wird erst in Aussicht gestellt für den Fall „der Anhörung des Beschuldigten in schwedischer Untersuchungshaft“.

Die Sache scheint also festgefahren zu sein – jedenfalls so lange die 61-jährige Oberstaatsanwältin Ny für den Fall zuständig ist. Von ihr werden interne Äußerungen kolportiert: Wenn sie einmal Nein gesagt habe, dann bleibe es bei einem Nein. Und Nein hat Ny zum Angebot Assanges gesagt, ihn in der Londoner Botschaft zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu hören, aufgrund dessen im November 2010 auch ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden war: Assange habe sich bei einem Aufenthalt in Schweden im August 2010 der Vergewaltigung in einem Fall und der sexuellen Nötigung in zwei Fällen schuldig gemacht. Das Nein eines Verhörs in London begründet die Staatsanwaltschaft mit formalen und praktischen Hindernissen (www.aklagare.se/In-English/Media/The-Assange-Matter/Why-is-the-prosecutor-not-able-to-question-Mr-Assange-in-the-UK1/). Laut Medien hat Ny klar gemacht, dass nach der ganzen „Farce“, die Assange veranstaltet habe, er von ihr schon gar keine Sonderbehandlung bekommen werde.

Julian Assange wiederum hat zuletzt in einem Chat mit LeserInnen der Zeitung Aftonbladet am Dienstag seine Haltung bekräftigt, nicht freiwillig zu einer Anhörung nach Schweden reisen oder die vom britischen Supreme Court im Juni 2012 endgültig abgesegnete Auslieferung dorthin akzeptieren zu wollen, da er sonst seinen Asylstatus verlieren würde. Zudem wiederholte er seine Befürchtung, womöglich von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden. Unbegründet sei eine solche Furcht, meint dagegen die schwedische Staatsanwaltschaft und verweist auf formales Recht, laut dem Assange in Schweden nicht weniger sicher wäre als in Großbritannien (www.aklagare.se/In-English/Media/The-Assange-Matter/Can-Assange-be-extradited-from-Sweden-to-the-USA/). Eine ausdrückliche Nichtauslieferungsgarantie könne man ihm allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht geben.

Muss Assange also noch Jahre in der Botschaft sitzen? In Schweden kann man von starkem öffentlichen oder gar politischen Druck auf die Staatsanwaltschaft, sich doch vielleicht zu bewegen, nicht sprechen. Zuletzt hat vor vier Monaten Johan Pehrson, der justizpolitische Sprecher der mitregierenden liberalen Volkspartei, an Ny appelliert, ihre Prinzipien über Bord zu werfen und Assange in London anzuhören. Schließlich handle es sich um einen „außergewöhnlichen Fall“, und man müsse auch an die Opfer, die beiden Frauen, denken. Denen sei nicht damit gedient, dass das Verfahren jahrelang nicht weitergehe. Anne Ramberg, Vorsitzende des schwedischen Anwaltsverbands, schloss sich diesem Appell an, alle Beteiligten seien an diesem „Zirkus“ schuld: Von der schwedischen Staatsanwaltschaft über die britische Justiz bis zu Assange selbst. Claes Borgström, Anwalt einer der Frauen, die Assange beschuldigen, wundert sich, warum er nicht von der britischen Polizei zu den Vorwürfen gehört wird.

Für Dienstag kommender Woche haben Assanges Anwälte einen neuen gerichtlichen Antrag auf Aufhebung des schwedischen Haftbefehls angekündigt. Im August 2020 würde die schwerste der Assange vorgeworfenen Straftaten verjähren.

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