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Österreich will gegen AKW Temelín klagen

Wien beruft sich auf das Völkerrecht, um gegen das umstrittene südböhmische Atomkraftwerk vorzugehen

PRAG taz ■ Der tschechische Botschafter in Wien, Jan Koukal, gab sich jüngst höchst undiplomatisch. Die Österreicher litten unter einer „Psychose“, sagte Koukal. Anders könne er sich deren Abneigung gegenüber dem tschechischen AKW Temelín nicht erklären.

Hintergrund: Temelín hat Anfang Dezember trotz sicherheitstechnischer Bedenken die Betriebserlaubnis erhalten. Vergangene Woche beantragte der österreichische Nationalrat nun, diese mit einer völkerrechtlichen Klage zu parieren. „Die Antiatomlobby hat die Abgeordneten vor die Wahl gestellt“, sagte ein österreichischer Diplomat: Entweder das Land klage, oder die Aktivisten verstärkten die Grenzblockaden.

Diese Blockaden sind ein mächtiges wie umstrittenes Instrument im tschechisch-österreichischen Konflikt um das südböhmische Atomkraftwerk. Sie verletzten das EU-Recht auf freie Bewegung von Personen, Waren und Kapital.

Doch seit Temelín dank offizieller Betriebserlaubnis mit vollem Dampf Strom produziert, machen Österreicher wieder mit Grenzblockaden ihren Unmut über das AKW deutlich. Sie fürchten um ihre Sicherheit. Der Reaktor steht an 42 von 100 Tagen still, weil immer wieder Probleme beseitigt werden müssen. Österreich habe das Melker Abkommen gebrochen, wütet aber Tschechiens Ministerpräsident Mirek Topolánek.

Mit dem Melker Abkommen haben Tschechen und Österreicher im Jahre 2000 einen Kompromiss im Streit um die Atomenergie getroffen. Tschechien überprüft die Sicherheit des Kraftwerks und beseitigt eventuelle Mängel. Österreich dämmt im Gegenzug seine Proteste ein.

Nicht sie, sondern die Tschechen hätten den Melker Prozess verletzt, klagen nun wiederum die Österreicher. Schließlich hätten diese dem Meiler die Betriebserlaubnis erteilt, obwohl noch Bedenken hinsichtlich seiner Sicherheitsventile und Kühlröhren bestünden.

Diese Kritik stößt in Tschechien auf nationale Empfindsamkeiten. „Das ist, als würde man den Tirolern sagen, sie könnten nicht Ski fahren“, heißt es in österreichischen Diplomatenkreisen. Denn Temelín ist mehr als ein bloßes Kraftwerk. „Die Tschechen sind ein Ingenieursvolk, und Temelín ist ein nationales Denkmal“, sagt der Atomenergie-Experte von Greenpeace, Jan Haverkamp.

Die offiziellen Reaktionen auf den österreichischen Nationalratsbeschluss geben ihm Recht. Temelín sei eine Sache des „nationalen Interesses“, proklamiert der tschechische Oppositionsführer, Jiří Paroubek.

Abgesehen von den Grünen ist sich die tschechische Politelite ungewohnt einig in ihrer Empörung über den Nachbarn. Der Beschluss sei „skandalös“, erklärt Staatspräsident Václav Klaus. Der Vorsitzende der kommunistischen Partei, Vojtěch Filip, fasst zusammen, was der Volksseele am meisten aufstößt: dass ausgerechnet Österreich sich erlaubt, den Tschechen Bedingungen auferlegen zu wollen. „Prag wird schon seit 1918 nicht mehr von Wien aus regiert“, so Filip.

ULRIKE BRAUN

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