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: Die Bahn kommt

Der Zug soll um 20.15 Uhr abfahren. Hätte um 20.15 Uhr abfahren sollen. Gegen 20.20 Uhr äußert eine Lautsprecherstimme, dass er fünf bis zehn Minuten später eintreffen würde. Nichts Neues unter dem Bahnhimmel, denkt man. Neu eigentlich nur, dass man selbst ja wegen einer Live-Radiosendung tunlichst um 22 Uhr in Bremen sein sollte.

Der Zug kommt um 20.30 Uhr. Und bleibt 20 Minuten stehen. Vielleicht kommen ja noch 1.000 Fahrgäste, vielleicht hört es auf zu regnen, vielleicht geht die Welt unter und es lohnt sich nicht mehr, Altona zu verlassen. All das möchte man den Schaffner fragen. Man möchte hören, dass es ihm leid tut. Und man möchte hören, dass die Bahn ein Schrottunternehmen ist.

„Warum?“, fragt man also den Schaffner, der sich auf dem Platz gegenüber niederlässt wie ein guter Bekannter. All das sei fatal, sagt der Schaffner. Er sagt, dass er selbst einmal gependelt sei und viele Stunden auf kalten Bahnhöfen auf Züge gewartet habe. Er sagt, dass die Bahn einmal Anzeigetafeln aufgehängt habe, die ihre Pünktlichkeit unter Beweis hätten stellen sollen und dass diese Tafeln stillschweigend wieder abgehängt wurden. Er sagt, dass er die Kollegen gefragt habe, warum sie in den internationalen Zügen keine englischen Durchsagen mehr machten. Sie bekämen dafür keine Zuschläge mehr, hätten sie geantwortet.

Dass er sich einen anderen Arbeitgeber suchen wolle, sagt er dann noch, und man ist ein bisschen erschrocken. Friederike Gräff